jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Winter 2004/2005 - Nr. 633

Inhalt

Die Lehren des 9. November 2004
Vor 15 Jahren, am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Die DDR implodierte. Was ist davon 15 Jahre später noch zu spüren. Ich bin in den Alltag zurückgekehrt. Die Dokumentationen im Fernsehen interessieren mich eigentlich nicht. Etwas, was in diesem Sommer hochkam, war schon interessanter: Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010, gegen Hartz IV. von dieter Koschek

Explosivität im Nahen Osten
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


Warnungen in den Wind geschlagen
Dreißig Jahre war Robert Baer für den amerikanischen Geheimdienst (CIA) tätig, vornehmlich im vorderen Orient und in Mittelasien. 1997 quittierte er den Dienst; er hielt die Diskrepanz mit der Leitung seiner Behörde für nicht mehr erträglich. von Jürgen Kaminski


Hoffnung über Hütten
Ein Blitzlicht aus Brasilien


Einladung zum Ersten Sozialforum in Deutschland
Für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Natur

In Deutschland werden unter dem Begriff "Reformen" profitorientierte Interessen mit Maßnahmen durchgesetzt, die zu Lasten der Bevölkerung gehen. Diese Politik führt zu steigender Erwerbslosigkeit, Verarmung und dem finanziellen Kollaps der Kommunen, der Länder und des Bundes.Dagegen soll ein Deutsches sozialforum mobilisieren.


Globale Mängel
Fünf Jahre lang war Victor Breu als Wirtschaftskorrespondent des Schweizer "Tages-Anzeiger" in den Vereinigten Staaten von Amerika tätig. In einem Artikel vom 13. April 2004 nannte er als bedeutendstes Erlebnis in dieser Zeit die Ereignisse vom 30. November 1999. Zusaammengefaßt von Jürgen Kaminski


Was Hoffnung gibt
Ich glaube kaum an die Segnungen der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Mächtigen. Überzeugt, ja begeistert haben mich vielmehr die relativ kleinen Ansätze der von der Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe unterstützten Projektpartner.


Es geht anders
Kapitalanlagen sind stark gefragt. Der wilde Tanz um Aktienkurse, hohe Renditen und schnelle Gewinne umspannt den ganzen Globus. Pro Tag werden über 1200 Milliarden Dollar an den Börsen bewegt. Koste es, was es wolle - Hauptsache, das Kapital vermehrt sich.Oikocredit Stuttgart wird vorgestellt


„Statt Hartz IV: Grundeinkommen für alle"
Das deutsche „Netzwerk Grundeinkommen" wurde am 9. Juli 2004 im Wissenschaftszentrum Berlin von Wissenschaftlern, Studierenden, Vertretern der Erwerbslosen- und Armutsbewegung, kirchlichen Verbänden sowie von Mitgliedern verschiedener Parteien gegründet.


Was bedeutet soziale Dreigliederung für mich?
Dieter Koschek stellt seine Aktivitäten in den Rahmen der Sozialen Dreigliederung.


Bionetz Lindau
Das Bionetz Lindau ist ein Zusammenschluss von Bio-Bauern, Händlern, Herstellern und Vertreibern von Bioprodukten und ökologischen Produkten im Landkreis Lindau und Umgebung. Denn gemeinsam haben wir eine gewichtigere Stimme.von dieter Koschek


Brüderlichkeit im Wirtschaften
Unter dem Arbeitstitel „Anthroposophischer Gewerbepark Bodensee" sollen zunächst Unternehmen der Region vernetzt werden, die am „assoziativen Wirtschaften" interessiert sind. Im zweiten Schritt ist ein gemeinsamer Gewerbepark geplant. Dafür haben sich drei Arbeitsgruppen gebildet, die ein Konzept entwickeln, mögliche Standorte zu identifizieren sowie Investoren zu werben.


Regionalgeld in Schlewig-Holstein
Regionalgeld ist im Unterschied zu unserem gesetzlichen Zahlungsmittel, dem Euro, Geld, das nur in einer Region, zum Beispiel Schleswig-Holstein, als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Es bleibt in der Region und fördert dadurch die heimische Wirtschaft.


Dreigliederungsgruppe „Zeitreif"
Unser Name "Zeitreif" bedeutet wohl, dass wir meinen, dass die Zeit reif für uns ist, wie auch, dass wir uns bemühen, reif für die Aufgaben zu sein, welche die Zukunft an uns stellt


Der Mensch - ein soziales Wesen
Obwohl man seit einiger Zeit von bestimmten Seiten her versucht, den Menschen als Egoisten, isoliertes, einsames, egozentrisches Wesen darzustellen - und der Sozialdarwinismus hat viel dazu getan (basierend auf Arbeiten des englischen Soziologen Malthus), woraus dann auch die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus gespeist wurde -, erweist sich das Menschenwesen bei genauerer Betrachtung als ganz und gar sozial eingestellt. von Andreas Pahl


Das Erüben der Gemeinschaft
Im Zusammenwirken von Menschen in einer Hof- oder einer sonstigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft werden neue Formen gesucht. von Wolfgang Sell


Probleme des Einzelnen und der Gemeinschaft
Der Einzelne wird sich immer eine Gemeinschaft suchen, die ihm möglichst alles das zur Verfügung stellt - und zwar mühelos -, was er selbst für sich braucht und wünscht. Das ist sehr verständlich. Die Gemeinschaft jedoch wird niemals etwas anderes tun können, als die Möglichkeit zu schaffen, dass der Einzelne sich in ihr zu seiner Individualität entwickeln kann. Die Gemeinschaft kann nur die Möglichkeiten schaffen, dass der Einzelne sich im Laufe einer längeren Zeit in sie einleben kann, um zu prüfen, ob die Gemeinschaft ihm die Wege zeigt, die zu einer Bereicherung seiner Individualität führen können. Von Peter Schilinski


Eulenspiegel-Nachrichten
Guten Tag, jetzt ist es bald soweit:
Ab nächstem Jahr werde ich die Arbeit im Eulenspiegel als Pächterin übernehmen. Monika Halbhuber stellt sich und ihre Überlegungen vor.


Das erste Seminar zum Thema Anthroposophie mit Anton Kimpfler in CaseCaroCarrubo
Eine Überraschung nach der anderen! Nach zwölf Jahren, die es CaseCaroCarrubo gibt, kam es jetzt zur ersten Begegnung mit unserem Freund Anton und einer ersten Annäherung an die Anthroposophie. Ein Seminarbericht von Nunzio Taranto


Tun und nehmen, was nötig ist
Undankbar wäre es, wollte ich den Menschen vergessen, der mich zwei der schwierigsten Dinge des Lebens gelehrt hat: einmal, aus völliger innerer Freiheit heraus sich der stärksten Macht der Welt, der Macht des Geldes nicht unterzuordnen, und dann, unter seinen Mitmenschen zu leben, ohne sich auch nur einen einzigen Feind zu schaffen. Von Stefan Zweig


Dreigliederung und Waldorfschule
Einer ihrer unvergesslichsten und wohl auch wirkungsvollsten Auftakte war der soziale Dreigliederungsvortrag, den Rudolf Steiner im sogenannten Tabaksaal der Waldorf-Fabrik für deren gesamte Belegschaft hielt. Von Herbert Hahn


Anthroposophie & Jedermensch
Einzig deshalb wieder froh sein
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

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Die Lehren des 9. November 2004

Vor 15 Jahren, am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Die DDR implodierte.

Was ist davon 15 Jahre später noch zu spüren. Ich bin in den Alltag zurückgekehrt. Die Dokumentationen im Fernsehen interessieren mich eigentlich nicht. Etwas, was in diesem Sommer hochkam, war schon interessanter: Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010, gegen Hartz IV. Man schätzt, dass rund 500 000 Menschen, Arbeitslose durch diese Reform schlechter gestellt werden. Und dagegen gab und gibt es im Osten der Republik Demonstrationen, die jedoch nicht zu der Mobilisierung führten, die wir uns gewünscht haben. Nach einer Umfrage interessieren sich nur 4 Prozent für das Thema Hartz IV und 10 Prozent für das Thema Arbeitslosigkeit. Das sind jeweils ziemlich direkt die Zahlen der Betroffenen.

Die Menschen, die die DDR zur Auflösung brachten, und damit wie Winfried Wolf schreibt, die größte Zäsur seit der Oktoberrevolution 1917 zustande brachten, sind heute nicht mehr Hoffnungsträger, sondern Opfer dieser Zeitenwende. Der Kapitalismus stürzte sich mit aller Macht über die neuen Märkte, so wie es der Staatsvertrag vom 1. Juli 1990 zwischen BRD und DDR versprach: Nunmehr gilt die soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien, das heißt Privateigentum, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital und Dienstleistungen.

Auch wenn 15 Jahre danach festgestellt werden kann, dass die individuellen Rechte gestärkt wurden, ist jedoch die soziale Ungleichheit, der Abstand zwischen Arm und Reich so groß wie nie zuvor. Der Osten fällt wieder zurück. Nachdem er einige Jahre aufholte und die Unterschiede kleiner wurden, festigen sich nun die Unterschiede. Dazu noch werden die Menschen im Osten als Subventionsempfänger denunziert und ihnen selbst die Schuld dafür gegeben. Letztlich ist die Wiedervereinigung schuld an der Agenda 2010 und Hartz IV.

Doch die eigentlichen Gewinner der Wiedervereinigung sitzen nach wie vor im Westen:

1. Die freiheitlich-demokratische Bodenordnung führte dazu, dass sich etwa 70 Prozent der Immobilien in den erneuerten ostdeutschen Städten im Besitz westlicher Investoren befinden. 400 000 Objekte wurden nach dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" an Westdeutsche übertragen, von denen allerdings viele schon nach 1949 entschädigt wurden.

2. Fast das gesamte Produktivvermögen der EX-DDR ist in Westbesitz. Nur noch 5 Prozent besitzen Ostdeutsche. Das sind Werte von insgesamt etwa 200 Milliarden Euro. Die Investoren erhielten zudem 130 Milliarden Euro an Kapitalhilfe durch die Treuhand.

3. Die Einkommensunterschiede und die härteren Arbeitsbedingungen im Osten drücken auf das westdeutsche Einkommensniveau. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges sinken im Westen die Reallöhne, die Arbeitszeiten verlängern sich und die Arbeitsintensivität steigt. Im Herbst 2004 liegen die ostdeutschen Löhne noch immer 25 Prozent unter Westniveau. Im Osten arbeitete ein Vollzeitbeschäftigter 1450 Stunden, im Westen 1340 Stunden

Das alles freut die Reichen. Die Gewinne steigen kontinuierlich an. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen seit 1991 fast auf das Doppelte. Deutschland ist „Exportweltmeister" und doch wird immer weiter gejammert und weiter Sozialabbau vorangetrieben.

So ist es heute, 15 Jahre nach dem Fall der Mauer, deutlich: Nicht nur die DDR existiert nicht mehr, sondern auch die alte BRD nicht mehr. Nicht mehr eine soziale Marktwirtschaft herrscht, sondern heute ein neoliberaler Kapitalismus.

So dürfen wir in unserer Anstrengung auch nicht nachlassen. Es wird heute immer deutlicher, dass die Wirtschaft und mit ihr die multinationalen Konzerne die Macht übernommen haben und wir hier den Widerstand aufbauen müssen. Und da gilt nach wie vor, dass der Privatbesitz an Grund und Boden abgeschafft werden muss. Wir brauchen eine Bodenrechtsreform. Die Arbeitsbedingungen sind keine Frage der wirtschaftlich tätigen Partner von Kapital und Arbeit, sondern allgemeine Rechte der Menschen und unterliegen dem Rechtsleben. Die Eigentumsfrage muss wieder gestellt werden. Die enormen Gewinne der Produktivitätssteigerungen dürfen nicht den Kapitalisten alleine gehören. Auch die Arbeiter und Konsumenten müssen daran beteiligt werden, z. B. durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Produktionsmittel dürfen nicht mehr Privateigentum sein, sondern müssen gesellschaftliches Eigentum sein, damit ihr Gebrauch bei Missbrauch auch wieder den „Verfügern" entzogen werden kann.

Darin liegen die Aufgaben der sozialen Dreigliederung der Zukunft. Diese Rahmenbedingungen von einer assoziativen Wirtschaft auf Grundlage der Menschenrechte und der ökologischen Voraussetzungen müssen thematisiert werden und durch eine Aufklärungsarbeit wieder als Alternativen verbreitet werden. Dann können auch die Proteste gegen Agenda 2010 und Hartz IV wieder eine Richtung bekommen. Packen wir’s an.

Dieter Koschek

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Warnungen in den Wind geschlagen

Dreißig Jahre war Robert Baer für den amerikanischen Geheimdienst (CIA) tätig, vornehmlich im vorderen Orient und in Mittelasien. 1997 quittierte er den Dienst; er hielt die Diskrepanz mit der Leitung seiner Behörde für nicht mehr erträglich. Leute wie er, die in die Wirklichkeit verschiedener Länder eintauchten, Verbindung in der Bevölkerung hatten und ziemlich genau wussten, was dort vor sich ging, waren von mancher Entscheidung „von oben" mehr als verärgert. Es verdichtete sich für ihn der Eindruck, jene in den zentralen oberen Etagen wüssten fast nichts von der Wirklichkeit des Geschehens draußen. Hinzu kam das fortwährende Kompetenzgerangel zwischen der Bundespolizei FBI und dem Geheimdienst CIA.

Als besonders schlimm aber empfand er den Einfluss der Regierung, deren Direktiven und Ignoranzen, vor allem wenn es um Saudi-Arabien ging. Robert Baer beschreibt, wie es für ihn klar war, dass sich dort seit langem ein wahres Pulverfass an moslemischem Extremismus aufbaute. Notdürftig vom Königshaus mit enormen Geldzuwendungen gedeckelt (woraufhin zwar selbiges seine Ruhe hatte, die exzessive Ideologie aber in alle Welt exportiert wurde), betraf es dann doch irgendwann die größten Geldgeber, die Nordamerikaner. Jahrzehntelang hatten letztere beide Augen zugedrückt, wenn es um Saudi-Arabien ging, den größten Öllieferanten.

Robert Baer beschuldigt die amerikanischen Regierungen (nicht nur die jetzige), die gefährlichen sozialen und politischen Entwicklungen in und um Saudi-Arabien übergangen und abgewiegelt zu haben. Es ging um Eigennutz, denn man war in die lukrativen Beziehungen eingebunden. So konnten die Agenten sozusagen berichten, was sie wollten, die Regierenden kümmerten sich wenig darum. Sie wirkten wie Drogenabhängige, die ihren Lieferanten nicht schaden wollten. Aber Robert Baer geht noch weiter: Es bestehen seitens der Regierung direkte Beziehungen zum saudischen Herrschaftszirkel, und es gehen stattliche Summen nach Amerika zurück. Das wäre direkte Korruption. Und genau das behauptet Robert Baer. Letztlich gehe es nur um Geld.

Es sind die Wirtschaftsverflechtungen der jetzigen Administration bekannt, deren direkte Verbundenheit mit der Ölindustrie und den damit verbundenen Zuliefer- und Baukonzernen. So kann wohl nur zugestimmt werden, dass hier etwas im Argen liegt.

Hier wären grundsätzlich Korrekturen angebracht. So ist ja nach den gängigen Wahlmodalitäten derjenige im Vorteil, der für seinen Wahlkampf das meiste Geld aufbringen kann. Chancenlos ist jener, welcher davon zuwenig hat. Wer selbst viel Geld hat und außerdem von der Industrie bezuschusst wird, hat große Chancen. Jenen Unternehmen jedoch, die auf ihn setzen, ist er hernach verpflichtet. Eine Reihe von Gesetzen und Weisungen beruhen genau auf diesem Bündnis. Es entsteht eher das Bild eines regierenden Lobby-Vertreters.

Das kann sicherlich nicht mit einer beispielhaften Demokratie gemeint sein, die Vorbild gerade gegenüber der südlichen Welt sein will. Das gemahnt eher an deren Verhältnisse, wo die Machthaber vor allem an die eigenen Pfründe denken. Es sollte sich überall durchsetzen, dass Staatsführer nicht wirtschaftlichen Mächten hörig sind. Die zu vertretende Gesellschaft ist vielfältig und braucht immerfort den abwägenden Ausgleich. Robert Baers Buch über den Niedergang der CIA erschien im Frühjahr 2004 in deutscher Übersetzung.

Jürgen Kaminski

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Hoffnung über Hütten

Im Januar 2003 kam unser neuer Präsident Luis Inácio Lula da Silva an die Macht. Freude und Hoffnung machten sich unter den Menschen breit, die sich Sorgen um die schreienden sozialen Gegensätze machen. Auch wir in Monte Azul teilen diese Hoffnung und drücken die Daumen, dass die Gutwilligen nicht von den politischen Machtkämpfen verschlungen werden. In São Paulo ist ja schon seit zwei Jahren Marta Suplicy von derselben Partei Bürgermeisterin, und manchmal schütteln wir den Kopf ob der Konzessionen, die sie eingeht, um bestimmte Projekte im Gemeinderat durchzubringen.

Was die Wirtschaft anbetrifft, war das Jahr 2003 sehr schwierig. Keine neuen Arbeitsplätze wurden geschaffen, ganz im Gegenteil: vor allem innerhalb der Unterschicht macht sich die steigende Arbeitslosigkeit verheerend bemerkbar. Die Konsequenz ist steigende Drogenabhängigkeit und Jugendkriminalität vor allem in en riesigen Randgebieten der Großstädte.

Gäbe es nicht die immer zahlreicher werdenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die unter großen Entbehrungen versuchen, alternative Lösungen für die sozialen Probleme zu schaffe , wäre das Chaos schon längst ausgebrochen. So werden auch die Angebote der Associação Comunitária Monte Azul vom immer mehr Menschen aufgesucht: Die Wartelisten vor allem für die Kindertagesstätten und Hortgruppen sind immens.

Aus dem Jahresbericht der Favela Monte Azul, São Paulo (Unterstützung über Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe, Kontonummer: 12330015 bei der Gemeinschaftsbank Bochum, Bankleitzahl: 43060967, Referenznummer: 105079-F308).

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Einladung zum Ersten Sozialforum in Deutschland
Für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Natur

In Deutschland werden unter dem Begriff "Reformen" profitorientierte Interessen mit Maßnahmen durchgesetzt, die zu Lasten der Bevölkerung gehen. Diese Politik führt zu steigender Erwerbslosigkeit, Verarmung und dem finanziellen Kollaps der Kommunen, der Länder und des Bundes.

Dies ist ein weltweiter Prozess. Die neoliberale Globalisierung führt heute auch in den reichen Ländern zu Entwicklungen, unter denen die Menschen in der südlichen Erdhälfte schon seit Jahren - allerdings weitaus schlimmer - zu leiden haben. Dort wie hier zerstört sie die natürlichen Lebensgrundlagen dieser und kommender Generationen. Die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen wird zunehmend mit kriegerischen Mitteln betrieben. Während für das Kapital alle regulierenden Schranken fallen, werden, wie bei der "Festung Europa", die Mauern gegen den Zustrom von MigrantInnen und Flüchtlingen hochgezogen. Die sozialen Grundbedürfnisse werden durch Privatisierung öffentlicher Güter sowie der Daseinsvorsorge ausgehebelt. Im Namen der globalen Wettbewerbsfähigkeit und der Konkurrenz aller gegen alle werden Tausende Arbeitsplätze vernichtet. Soziale und demokratische Rechte werden abgebaut.

Die gesellschaftliche Unzufriedenheit wird immer größer. Das provoziert die Frage, welche Veränderungen notwendig sind, um die sozialen Grundbedürfnisse und natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zu sichern, Frauen und Männern eine existenzsichernde und gesellschaftlich sinnvolle Beschäftigung zu bieten, ihre Würde zu wahren und ihre demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten zu erweitern.

Immer weniger Menschen fühlen sich in ihren Anliegen vertreten. Wir müssen uns selber auf den Weg machen. Wir brauchen dafür ein zivilgesellschaftliches Forum, um uns über verschiedene soziale Milieus hinweg auszutauschen. Dort wollen wir Formen des Widerstands entwickeln und Widersprüche im Streben nach gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten und der Entwicklung von Alternativen überwinden. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Dialogs in einem offenen Raum jenseits von Parteien und weltanschaulichen Abgrenzungen.

Dieser Dialog ist Teil eines weltweit wachsenden Prozesses. Im südbrasilianischen Porto Alegre fanden sich im Jahr 2001 erstmals Menschen aus aller Welt unter der Losung "Eine andere Welt ist möglich". Parallel zu ähnlichen kontinentalen Foren in Afrika und Asien traten 2002 in Florenz das Erste, 2003 in Paris das Zweite Europäische Sozialforum zusammen. In Deutschland gibt es Sozialforen in vielen Städten und Regionen.

Wir laden alle ein, die sich auf die Suche nach einer gerechten, friedlichen und ökologischen Gesellschaft machen wollen, sich am

Ersten Sozialforum in Deutschland vom 21. –24. Juli 2005 in Erfurt

mit ihren eigenen Vorschlägen und Vorstellungen zu beteiligen und am Vorbereitungsprozess mitzuwirken.

Das Sozialforum in Deutschland ist Teil des Weltsozialforums und arbeitet auf der Grundlage der Charta von Porto Alegre.
Anmeldungen für Seminare und Workshops sind ab Oktober 2004 auf der Homepage www.dsf-gsf.org möglich. Dort finden sich auch die Ansprechpartner für die vorbereitenden Arbeitsgruppen.
Kontakt: Friedens- und Zukunftswerkstatt

c/o Gewerkschaftshaus Frankfurt.

Wilhelm-Leuschner-Straße 69-77. 60329 Frankfurt/Main
Tel.: 069 / 24249950. Fax: 069 / 24249951

Spendenkonto: Friedens- und Zukunftswerkstatt,
Stichwort: Sozialforum 2005, Konto-Nr.: 200081390, Frankfurter Sparkasse 1822, BLZ: 500 50201

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Globale Mängel

Fünf Jahre lang war Victor Breu als Wirtschaftskorrespondent des Schweizer "Tages-Anzeiger" in den Vereinigten Staaten von Amerika tätig. In einem Artikel vom 13. April 2004 nannte er als bedeutendstes Erlebnis in dieser Zeit die Ereignisse vom 30. November 1999.

In Seattle tagte die Versammlung der Welthandelsorganisation, worüber er berichten sollte. Nach einem in dieser Art wohl noch nie dagewesenen Proteststurm wurde das WTO-Treffen abgebrochen.

Der altgediente Wirtschaftsexperte begann daraufhin sich intensiver mit der Realität der wirtschaftlichen Globalisierung auseinander zu setzen.

Für die Wirtschaftsglobalisierung waren danach jene Abmachungen maßgeblich, die 1944 kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in dem amerikanischen Örtchen Bretton Woods getroffen worden sind. Hier entstand jenes System von Regelungen, in deren Mitte die beiden Institutionen von Weltbank und Weltwährungsfonds eingerichtet wurden.

Hilfe beim Aufbau von Volkswirtschaften und internationale Währungsstabilität waren zwar als Ziel genannt. Victor Breu betont jedoch, dass damit der westlichen, vor allem amerikanischen Wirtschaft eine geregelte Vormachtstellung eingeräumt worden ist. Unter anderem wurden Hilfsmaßnahmen durch Kredite gegeben, die mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen sind. (Ein englischer Vorschlag von John Maynard Keynes hatte sich gegen die Vereinigten Staaten nicht durchsetzen können. Er sah eine internationale Entwicklung durch Ausgleichszahlungen ohne eine einseitige Verschuldung hierbei vor.)

Anfang der siebziger Jahre kam es zu einer erneuten Wende in der globalen Finanzordnung, als das feste Wechselkursprinzip und der Bezug zum Gold gelöst wurde. Von westlicher Seite wurde nun verstärkt zum „Freihandel" aufgerufen, was allerdings zunächst für die gewaltig einsetzenden Finanzspekulationen galt. Victor Breu schreibt, dass sich derzeit gerade noch 2,5 Prozent des weltweiten Devisenflusses auf einen realen Warenverkehr beziehen. 97,5 Prozent sind Spekulationssummen!

Der „Freihandel" wurde zur Ideologie. Der südlichen Welt wurde nahegelegt, sich anstelle der Eigenversorgung auf wenige Exportprodukte zu beschränken. Durch die Teilnahme am Welthandel würde damit auch hier Wohlstand einkehren. Die Folge war eine immense Verschuldung dieser Länder. Sie stieg von 21 Milliarden Dollar im Jahre 1961 auf 560 Milliarden Dollar im Jahre 1980, eine Summe, die nach Victor Breu nicht mehr rückzahlbar ist.

Währenddessen wurden die Reichen immer reicher und der Abstand zu den Armen vergrößerte sich. So ist das Vermögen der drei reichsten Amerikaner größer als das Bruttosozialprodukt der 48 ärmsten Länder. Die 200 Reichsten besitzen etwa so viel wie 41 Prozent der Menschheit.

Und es ist eine nahezu unglaubliche Tatsache, dass die Entwicklungsländer seit 1986 mehr als doppelt so viel Geld an die reichen Geldverleiher des Nordens überweisen als sie an Entwicklungshilfe erhalten.

Zusammenfassend nennt Victor Breu fünf Defizite der heutigen Globalisierung: zunehmendes Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd (wie auch innerhalb einzelner Staaten), das Fehlen von ökologischer Nachhaltigkeit, die Mißachtung kultureller Diversivität, die Zerstörung von in Jahrhunderten gewachsenen Sozialstrukturen, den Mangel an demokratischer Mitsprache.

Diese Mängel müssen in einer künftigen Globalisierung behoben werden. So sind anstelle einer fortgesetzten Deregulierung der Märkte vernünftige Rahmenbedingungen zu setzen, die eine sinnvolle Entwicklung einzelner Gebiete erlauben. Soziale und ökologische Rücksichtnahmen erfordern dabei auch, den weltweiten Kapitalströmen gewisse Grenzen zu setzen.

Auf solche sich entfaltenden "regionalen Wirtschaftsräume" blickt Victor Breu, die auf "organisch gewachsenen Gegebenheiten und Ressourcen aufbauen".

Solche Gebiete werden eben dann entstehen, wenn die beteiligten Menschen eine Verantwortung für Natur und Gemeinschaft entwickeln, also eine ganz konkrete Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit schaffen, welche erst das Maß gibt für eine Öffnung zum Weltganzen. Weder im eigenen Kreis ersticken noch vom Großen her aufgesogen zu werden, das ist eine Kunst, die sich zukünftig entwickeln muß.

Jürgen Kaminski

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Was Hoffnung gibt

Ich glaube kaum an die Segnungen der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Mächtigen. Überzeugt, ja begeistert haben mich vielmehr die relativ kleinen Ansätze der von der Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe unterstützten Projektpartner.

Solche Hoffnungsträger sind Persönlichkeiten mit Menschenliebe, mutiger Initiativkraft und realistischen Visionen. Sie arbeiten sach- und ortskundig daran, dass sich die Lebensverhältnisse vor Ort in Selbstverwaltung und mit angemessenen Mitteln verbessern. Es sind Projektpartner mit der Fähigkeit, andere Menschen zu inspirieren, zu lehren und zu ermutigen. Es sind Menschen mit der Fähigkeit, Kooperation und Netzwerke zu bilden, also an der Graswurzel für die Zivilgesellschaft zu bauen, wie zum Beispiel

die Agrarwissenschaftlerin Joyce, Beraterin beim Projekt „Wassertanks, Milchziegen, Gemüsegärten": Sie ist versiert durch internationale Frauenkongresse und geachtet wegen ihrer starken Sprache; wahrscheinlich auch etwas gefürchtet bei den Kleinbauern, die sie mit ihrem Motorrad besucht;

Cathrin: die Sprecherin einer Gruppe land- und arbeitsloser junger Leute, die nicht resignieren. Vielmehr wollen sie die Wut über erlittene Ungerechtigkeit mit Starthilfen durch die „Kleinbauernberatung" in Unternehmensgeist verwandeln.

Mary: Vorstandsmitglied bei der „Kleinbauernberatung", ansonsten engagierte Leiterin des Sozialdienstes der Stadt Thika mit 50 000 Einwohnern, unter denen 2 000 elternlose Straßenkinder sind. Sie koordiniert die Arbeit ihrer 18 Sozialarbeiter, ohne über staatliche Finanzmittel für weitere Hilfen zu verfügen;

Patrick: der feinsinnige Lehrer mit einem Monatsgehalt von 120 Euro, der nebenher noch drei Gruppen von Kleinbäuerinnen sehr effiziente Beratungshilfe gibt und auch die vergessene Pflanzenmedizin wieder ins Bewusstsein bringt;

Rose, Patricks Mitarbeiterin: eine ruhige, zierliche Beratungshilfe für Frauengruppen. Sie soll jetzt für ihre langen Wege ein Moped erhalten.

Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie sich durch die Arbeit der Projektpartner vor Ort die Lebensqualität und –sicherheit verbessern, zum Beispiel durch Verdoppelung der Gartenerträge bei größerer Früchtevielfalt oder durch Regenwassertanks und Milchziegen. Schon an die zehntausend Kleinbauern konnte zu wirksamer Selbsthilfe im Schneeballeffekt verholfen werden. Das Selbstwertgefühl der Menschen wächst wieder. – Und es ist absehbar, dass diese Graswurzel-Selbsthilfe-gruppen vor Ort auch politischen Einfluss gewinnen.

Johannes Jorberg für die Gemeinschaftsbank Bochum. 48 Gruppen mit etwa 1440 kleinbäuerlichen Haushalten umfasst das Projekt zur Selbsthilfe von Kleinbäuerinnen in Kenia („Wassertanks, Milchziegen, Gemüsegärten"). Die deutsche Bundesregierung unterstützt das vierjährige Projekt und gibt zu jeder Spende noch das zweieinhalbfache dazu. Für das Jahr 2003 waren pro Kleinbauernfamilie Spenden von 37 Euro erforderlich. Konto 12330010, Gemeinschafsbank Bochum, Bankleitzahl 43060967, Spendenzweck: Kleinbäuerinnen in Kenia

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Es geht anders

Kapitalanlagen sind stark gefragt. Der wilde Tanz um Aktienkurse, hohe Renditen und schnelle Gewinne umspannt den ganzen Globus. Pro Tag werden über 1200 Milliarden Dollar an den Börsen bewegt. Koste es, was es wolle - Hauptsache, das Kapital vermehrt sich.

Die internationalen Finanzmärkte haben sich längst von der realen Wirtschaft gelöst und eine eigene Dynamik entwickelt. Die Folge: Spekulationen und Börsencrashs zerrütten die Wirtschaft ganzer Länder und vernichten unzählige Arbeitsplätze - mit weitreichenden Folgen für Mensch und Natur. Hauptleidtragende sind die Länder des Südens.

Oikocredit zeigt seit 25 Jahren, dass es auch anders geht. Wer bei uns investiert, will seine Verantwortung nicht am Bankschalter abgeben. Mit dem Kapital unserer Anleger vergeben wir faire Kredite an Genossenschaften in armen Gebieten der Welt.

Wer eine Existenz aufbauen will, braucht Kredit.

Doch wer arm ist, gilt den Banken nicht als kreditwürdig. Oikocredit investiert in Menschen, denen normale Banken keine Kredite geben würden, weil sie keine Sicherheiten nachweisen können. Denn wir spekulieren auf nachhaltige, selbstbestimmte Entwicklung in den armen Ländern und auf mehr Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd.

Unsere Partner sind Genossenschaften in den armen Ländern der Welt. Sie sind für uns gleichberechtigte Vertragspartner. Oikocredit gibt ihnen keine Almosen, sondern Kredite zu fairen Bedingungen: mit langen Laufzeiten und bezahlbaren Zinsen, damit unsere Partner langfristig planen und eigenständig wirtschaften können. So unterstützen wir ihre Eigeninitiative.

Instabile Rohstoffpreise, Währungsschwankungen und politische Veränderungen machen Investitionen in den Ländern des Südens riskant: Die großen Kapitalströme meiden daher diese Gebiete. Anders Oikocredit: Sie investiert gezielt in diesen Regionen. Denn an Leistungsbereitschaft und Ideenreichtum ist dort kein Mangel - was fehlt sind faire Kredite.

Der Erfolg gibt uns recht: Nahezu 90 Prozent der Oiko-credit-Partner arbeiten rentabel und zahlen ihre Kredite zurück. Verluste fängt Oikocredit durch ihre Rücklagen auf.

Das Kapital unserer Anleger fließt weder in Finanzgeschäfte noch in Rüstungsproduktion oder Raubbau an der Umwelt. Stattdessen fördern wir die schöpferischen und produktiven Kräfte der Menschen. Unsere Partner bauen mit unseren Krediten ihre Unternehmen aus, schaffen produktive, ökologische Arbeitsplätze und verbessern aus eigener Kraft ihre Situation.

Die Kredite von Oikocredit fördern wirksam ökologisches Wirtschaften, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Selbständigkeit von Frauen. Eine Investition bei Oikocredit ist also eine Anlage mit hohem sozialen Gewinn. Und außerdem gibt es seit 1989 eine jährliche Dividende von in der Regel zwei Prozent.

Die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft Oiko-credit mit Sitz in Amersfoort in den Niederlanden wurde 1975 vom Weltkirchenrat gegründet. Heute kooperiert sie mit 300 Partnern in 60 Ländern. Das Ziel: Menschen in ihren Bestrebungen für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.

Oikocredit vergibt Kredite an Gruppen aus armen Bevöl-kerungsschichten, die auf dem freien Kapitalmarkt keine Gelder bekommen. Regionale Oikocredit - Beauftragte beraten die Gruppen. Übrigens: Zurzeit werden alle Oikocredit-Regionalstellen in Afrika von weiblichen Regionalbeauftragten geleitet.

Oikocredit ist genossenschaftlich strukturiert und versucht so, Macht und Verantwortung zwischen Nord und Süd zu teilen. Bis zum Jahr 2001 haben unsere Anleger bereits 140 Millionen Euro in Oikocredit investiert. Auf die Anlagen werden jährliche Dividenden von in der Regel ein bis zwei Prozent ausgeschüttet. Jedes Mitglied hat - unabhängig von der Höhe des investierten Kapitals - eine Stimme.

Wenn Sie bei Oikocredit investieren möchten, erwerben Sie Anteile ab 200 Euro über den regionalen Förderkreis. Dieser verwaltet Ihre Anteile treuhänderisch und zahlt Ihre Einlage auf Wunsch jederzeit wieder zurück. Der Mitgliedsbeitrag im Förderkreis finanziert die Verwaltungs- und Bildungsarbeit. Einige Beispiele für unsere Projekte:

Indien: Bäuerinnen, Lebensmittelhändlerinnen, Töpferinnen, Schneiderinnen - 8000 indische Frauen sind mit Hilfe von „Share" erfolgreiche Kleinunternehmerinnen geworden. „Share" vergibt Mikrokredite zwischen 50 und 350 amerikanische Dollar an Gruppen von fünf Frauen, die füreinander bürgen. Und die Mischung aus Solidarität und sozialer Verantwortung funktioniert bestens: Die Kredite werden zu 100 Prozent zurückgezahlt! Oikocredit trägt mit einem Darlehen von 750 000 Dollar dazu bei, dass noch mehr Frauen eine faire Chance bekommen.

Profit mit Umweltschutz ...kombiniert eine Gruppe von Kleinbauern in Mexiko: Sie bauen Kaffee ökologisch und bodenschonend an. Mit einem Oikocredit-Darlehen von 456 000 amerikanische Dollar kann die Gruppe ihren Kaffee nun selbst in Europa vermarkten. Ein Teil dieses Kapitals stammt von einer Druckerei im Hunsrück, die ebenfalls nach ökologischen Kriterien produziert - und bei Oikocredit investiert hat. Das Kapital aus dem Hunsrück trägt nun auch in Mexiko zum Umweltschutz bei.

Mit drei Darlehen von insgesamt 465 000 amerikanischen Dollar fördert Oikocredit die Textildruckerei „Design" in Harare (Simbabwe). Bei „Design" entwirft man nicht nur schöne Muster, sondern will auch zu einer gerechteren Gesellschaft. beitragen. Seinen 275 Beschäftigten bietet das Unternehmen faire Löhne, Gewinn-beteiligung und Sozialleistungen, außerdem engagiert es sich kulturell und im Umweltschutz.

Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg,
Am Kochenhof 7, 70192 Stuttgart

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„Statt Hartz IV: Grundeinkommen für alle"

Das deutsche „Netzwerk Grundeinkommen" wurde am 9. Juli 2004 im Wissenschaftszentrum Berlin von Wissenschaftlern, Studierenden, Vertretern der Erwerbslosen- und Armutsbewegung, kirchlichen Verbänden sowie von Mitgliedern verschiedener Parteien gegründet.

Am Tag der Verabschiedung der sogenannten „Hartz IV"-Gesetze verwies ein breites und pluralistisches Spektrum von Befürwortern eines bedingungslosen, garantierten Grundeinkommens auf grundlegende Alternativen zur Arbeitsverpflichtung. (...)

Das „Netzwerk Grundeinkommen" formulierte auf dem Gründungstreffen vier Kriterien, die ein Grundeinkommen erfüllen sollte: existenzsichernd, individueller Rechtsanspruch, keine Bedürftigkeitsprüfung, kein Zwang zur Arbeit.

Das „Netzwerk Grundeinkommen" legt sich nicht auf ein bestimmtes Finanzierungsmodell fest. Entscheidend, so die Sprecher des Netzwerks, sind die vier Kriterien. Das Grundeinkommen soll die gesellschaftliche Teilhabe garantieren und unabhängig sein von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Ehegatten, Eltern und erwachsenen Kindern. Eine Bedürftigkeitsprüfung wird abgelehnt, aber natürlich wird das Grundeinkommen mit dem Steuer- und Beitragssystem abgestimmt. Schließlich soll das Grundeinkommen nicht mit einem Zwang zur Arbeit verbunden sein und damit eine neue Vielfalt von Arbeits- und Tätigkeitsformen ermöglichen.

Das „Netzwerk Grundeinkommen" wird die Diskussion um die Einführung eines Grundeinkommens mit politischen Entscheidungsträgern, Wirtschafts- und Sozialverbänden, Gewerkschaften wie sozialen Bewegungen suchen und den wissenschaftlichen Diskurs zum Grundeinkommen fördern. (...)

In Berlin wurde eine Sprechergruppe bestimmt, der folgende Personen angehören:

Ronald Blaschke, Arbeitslosenverband Deutschland (ALV D) (Rblaschke@aol.com)

Katja Kipping, MdL, stellv. Parteivorsitzende der PDS (Katja.Kipping@slt.sachsen.de)   

Prof. Dr. Michael Opielka, Institut für Sozialökologie, Königswinter/Fachhochschule Jena (michael.opielka@fh-jena.de)

Wolfram Otto, Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) (wolframotto@web.de)

Birgit Zenker, Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) (birgit.zenker@kab.de)

(Die Organisationen, Institutionen, Parteien dienen dabei lediglich zur Information über die Person.)

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Der Newsletter Grundeinkommen wird per e-mail alle ein bis zwei Monate an über mehrere hundert Abonnenten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie an Interessenten in Europa und außerhalb gesandt.

Anfragen für das kostenfreie Abonnement und Beiträge für künftige Ausgaben des Newsletter Grundeinkommen bitte an den Redakteur des Newsletter: Prof. Dr. Michael Opielka, mail: michael.opielka@fh-jena.de.

Informationen im Netz: www.grundeinkommen.de

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 Was bedeutet soziale Dreigliederung für mich?

Seit 1987 kenne ich nun die Idee der sozialen Dreigliederung durch Peter Schilinski. Als die Frage anstand, ob ich in der Arbeits- und Lebensgemeinschaft mitlebe und –arbeite, stellte sich mir auch die Frage, ob ich am „jedermensch" und damit an einer Zeitschrift für soziale Dreigliederung mitarbeiten kann.

Nachdem ich mehrere Jahrgänge der Zeitschrift durchgegangen war, hatte ich Klarheit: Ich konnte diese Idee, so wie sie Peter Schilinski versteht und verbreitet, voll akzeptieren, empfand sie sogar als eine Art Gerüst für meine damaligen Aktivitäten in Bürgerinitiativen, selbstverwalteten Betrieben und in verschiedenen Arbeitskreisen.

Sie ist auch heute noch für mich der Leitfaden für meine Arbeit, egal ob im Rahmen des Vereins Modell Wasserburg, des „jedermensch" oder darum herum.

Die Prinzipien der sozialen Dreigliederung -

Freiheit im Geistesleben
Gleichheit im Rechtsleben und
Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben

- waren immer die Grundfragen, ob eine Initiative zu befürworten war oder nicht; nicht in einem engen ideologischen Sinne, sondern immer aus dem Gedanken heraus, ob die Inhalte der Initiativen in die Richtung dieser Idee gehen oder der Idee neue Impulse geben können.

So habe ich einige Arbeitsbereiche in meiner Arbeit immer in den Vordergrund gestellt: etwa freie Schulinitiativen oder Aktivitäten von Eltern, Lehrerinnen, Schülern und Studenten, die geistige Freiheit suchen. Auch der „jedermensch" unterliegt diesem Prinzip immer noch. Bislang haben wir z.B. noch keine bezahlten Anzeigen gesucht, eine Art, eine unabhängige Zeitschrift unabhängig zu lassen.

Ebenfalls nach diesem Grundsatz handelt die Bürgerinitiative „Mehr Demokratie", die die Weiterentwicklung der Demokratie durch Volksbegehren und Volksentscheide voranzubringen versucht . Gleiches gilt darüber hinaus für alle Bestrebungen, die Bürgerbeteiligung in politischen Fragen weiterzuentwickeln. Ganz wichtig ist dabei, dass alle Menschen vor dem Recht gleich sind. Peter Schilinski hat dabei das Augenmerk darauf gelenkt, dass wirtschaftliche Abhängigkeiten, geringe Einkommen, ja Armut dieses Recht entschieden beschneiden. Wenn die Menschen wirklich gleiche Rechte haben sollen, dann müssen auch die finanziellen Möglichkeiten dazu gegeben sein. Armut ist ein wesentlicher Nachteil bei der Wahrnehmung gleicher Rechte, z.B. bei der Frage, welche Bildungschancen mein Kind hat.

Mit der Brüderlichkeit im Wirtschaften, wie es konkret gelebt wird, tat ich mir immer schwer, denn die Streitigkeiten von Brüdern um Erbfolgen und wirtschaftliche Vorteile sind nur überdeutlich. Besser gefiel mir immer der assoziative Zugang zu Wirtschaftsfragen. Ein Miteinander muss sich gestalten und hier sind die Ver-braucherInnen immer noch nicht in einer gleichberechtigten Lage; schon gar nicht so, wie Peter Schilinski klar machte, dass die Verbraucher die eigentlichen Auftraggeber – und nicht nur Käufer - der Produktion sind. „Wirtschaft steht im Dienst der Bedürfnisse der Verbraucher" war ein einleuchtender Grundgedanke.

So fand ich meine Aktivitäten z.B. in der Arbeitslosenselbsthilfe Lindau und in der AG Sozialpolitische Arbeitskreise im Gerüst der Sozialen Dreigliederung wieder eingebettet. Dabei hat sich ein bedingungsloses Grundeinkommen als ein Schwerpunkt herauskristallisiert. Als einen kleinen Erfolg betrachte ich, einen Anstoß zur Gründung eines Netzwerk Grundeinkommen gegeben zu haben. Seit dem Sozialpolitischen Forum 1994 in München mit diesem Schwerpunktthema gelang es, die Diskussion beständig zu erweitern und immer mehr Menschen dafür zu interessieren. Die Herausgabe des Buches „Existenzgeld für alle" im Verlag der AG SPAK war ein weiterer Meilenstein in meiner Arbeit.

Jahrelang gab es einen zweiten Schwerpunkt für mich: Wie können wir in Betrieben arbeiten, die ohne Hierarchie auskommen? Welche Bedingungen müssen dabei herrschen um auch in Wirtschaftsbetrieben „gleiche Rechte" zu erlangen? Hier war mir die Erkenntnis wichtig, dass Wirtschaftsbetriebe nur in kleineren Größen von den Mitarbeitern gemeinsam geleitet werden können. Ich musste erkennen, dass unternehmerische Fähigkeiten oft individuell sind, die Übernahme von Risiken in Gruppen oft nicht realisierbar ist und kollektive Strukturen Entscheidungen oft zu sehr verlangsamen. In der jahrelangen Mitarbeit im Theoriearbeitskreis Alternativer Ökonomie fand ich viele Mitmenschen, die an den gleichen Fragen arbeiteten und wir uns gegenseitig hierin unterstützen konnten.

Schon bevor mir klar wurde, dass die Verbraucher die eigentlichen Auftraggeber sind, führte der Wunsch nach gesunden Lebensmittel zur Gründung einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft in Lindau. Weiter führte die Arbeit dazu, kritische Verbraucherinitiativen zu unterstützen, indem ich im „jedermensch" immer wieder über deren Arbeit berichtet habe. Aktuell gab ich den Anstoß zur Gründung des Bionetzes Lindau, einem Zusammenschluss von Biobetrieben, die verstärkt Verbraucherinformationen zum ökologischen Landbau geben wollen.

Immer war dabei mein eigenes Leben die Ausgangslage für die Aktivitäten: die Suche nach einer Arbeitsweise, die mich befriedigt, einem Konsum, der mich stärkt und nicht schwächt, einer Lebensgestaltung, die menschlich erscheint - und nach der Möglichkeit andere in diesem Sinne zu unterstützen.

Dabei war es nun nie wichtig, die Idee der sozialen Dreigliederung vor mir her zu tragen, denn damit erschien mir die Verwirklichung meiner Ziele nur erschwert und nicht nützlich. Vielmehr ist die soziale Dreigliederung in mir die treibende Kraft und auch das Gerüst, an dem ich immer wieder kontrollieren kann, ob die Richtung stimmt.

Darüber hinaus führte mich Peter Schilinski immer wieder zu der Frage, ob die politischen Aktivitäten nicht nur einem Eigenzweck dienen. Respekt, Achtung, positives Denken und ein positives Menschenbild gegenüber anderen sind ebenso Grundlage des Handelns wie selbstkritisches Reflektieren und Verstehen-Wollen des eigenen Handelns und Seins sowie das des Nächsten.

Dieter Koschek

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Bionetz Lindau

Das Bionetz Lindau ist ein Zusammenschluss von Bio-Bauern, Händlern, Herstellern und Vertreibern von Bioprodukten und ökologischen Produkten im Landkreis Lindau und Umgebung. Denn gemeinsam haben wir eine gewichtigere Stimme.

Die Vision ist es, den Anteil von Biolandwirtschaft im Landkreis, aber auch den Absatz von Bioprodukten überhaupt zu steigern, damit wir ruhigen Herzens sagen können: Wir tragen zur Gesundung von Mensch, Umwelt und Gesellschaft aktiv bei.

Die Gesellschaft gesundet daran,
- dass die Wirtschaft regional eingegrenzt werden kann,
- dass ökologische Rahmenbedingungen dergestalt berücksichtigt werden, dass die Sauberkeit der Luft, des Wassers und der Böden erhalten bleibt und sich die Landwirtschaft positiv entwickeln kann. Rundum eine saubere Sache.

Wir machen uns gemeinsam auf den Weg,

- um in der Öffentlichkeit Bildungsarbeit zu leisten,
- um Lobbyarbeit für ökologische Lebenshaltung zu leisten
- um die Konsumenten an ökologische und biologische Produkte, Hersteller und Händler heranzuführen

und weil wir

- gemeinsam auch unsere Fragen und Probleme verallgemeinern und Schlussfolgerungen ziehen – und danach selber handeln können.
- gemeinsam mehr Möglichkeiten haben, für unsere Ziele zu wirken durch ein Logo, Faltblätter, Einkaufsführer, Broschüren, Aktionen, Referate und ähnliches mehr.

Konkrete Ziele:

Eine Arbeitsgemeinschaft als Ansprechstelle schaffen
Einen Einkaufsführer mit Landkreiskarte und Umgebung entwickeln
Bei der Grünen Woche Schwaben (Sommer 2005 in Lindau) zusammen mit Bund Naturschutz und anderen präsent sein
Gemeinsame Werbeaktionen
Kooperationen mit Tierfreunden und dem Naturheilverein
Bestandsaufnahme der biologisch-bewirtschafteten Landwirtschaftsfläche
Stellungnahmen zur Gentechnik

Seit Ende September 2004, als sich sieben Betriebe zusammenfanden, um die Vision mit Leben zu füllen, entwickeln sich erste Umsetzungen. Sehr hilfreich kam dazu zeitgleich die Infokampagne des Bundesprogramms Ökologischer Landbau, das die Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Künast in Gang gebracht hat. Zur Zeit laufen Vorbereitungen um die ersten beiden Aktionen des Bionetzes umzusetzen. Die Aktion „Weihnachten bewusst genießen" mit Infoständen, Aktionen, Faltblättern etc. und die Herausgabe eines regionalen Einkaufsführers wird von der Infokampagne unterstützt.

Dieter Koschek

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 Brüderlichkeit im Wirtschaften

Unter dem Arbeitstitel „Anthroposophischer Gewerbepark Bodensee" sollen zunächst Unternehmen der Region vernetzt werden, die am „assoziativen Wirtschaften" interessiert sind. Im zweiten Schritt ist ein gemeinsamer Gewerbepark geplant. Dafür haben sich drei Arbeitsgruppen gebildet, die ein Konzept entwickeln, mögliche Standorte zu identifizieren sowie Investoren zu werben.

Eingeladen zu dem Workshop hatte die Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft westlicher Bodensee (WFG-West) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für angewandte Kommunalforschung (GEFAK) aus Marburg. „Assoziatives Wirtschaften" beschreibt im Kern eine Erneuerung wirtschaftlichen Denkens und Handels auf anthroposophischer Grundlage. Im Gegensatz zur Marktwirtschaft mit ihren Prinzipien der Konkurrenz und des Marktes setzt Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, auf „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben"....

WFG-Geschäftsführerin Iris Geber misst dieser Zielgruppe eine besondere Bedeutung bei, weil die anthroposophische Geisteshaltung in unserer Region stark vertreten sei. Daher sei es nur folgerichtig, deren Impulse für die Fortentwicklung des Wirtschaftsstandortes aufzugreifen und zu integrieren. Es solle aber kein abgegrenztes System „assoziativ wirtschaftender" gegenüber „herkömmlich wirtschaftenden Unternehmen" geben, sondern ein gegenseitiges Lernen.

In mehreren Vorträgen stimmten namhafte Referenten aus der Praxis auf die Grundgedanken und wichtige Einzelaspekte ein. Ulrich Rösch vom Goetheanum in Dornach (Schweiz), der anthroposophischen Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, erläuterte, dass die Interessen von Produzenten und Konsumenten nach der Lehre Rudolf Steiners zu einem Ausgleich kommen müssten. Bereits 1920 habe es in Stuttgart ein erstes „assoziationsähnliches Gebilde" gegeben: „Kommende Tag Aktiengesellschaft" zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte. Die rasante Inflation Anfang der 1920er Jahre habe jedoch 1923 dazu geführt, dass sich der Zusammenschluss von gut einem Dutzend Unternehmen auflösen musste....

Einen zentralen Punkt nicht nur assoziativen Wirtschaftens griff Christian Gelleri auf: Geld. Der Lehrer einer Waldorfschule in Prien am Chiemsee und Initiator der regionalen Währung „Chiemgauer" berichtete über deren Einführung. Weil die Währung mit der Zeit an Wert verliere, laute die zentrale Frage „Wie werde ich ihn wieder los?" Dadurch werde das Geld nicht gehortet, sondern schneller – und vor allem regional – zur Bezahlung eingesetzt. Das stärke die heimische Wirtschaft.

Mirko Gutemann im „Südkurier" am 5.5.2003

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Regionalgeld in Schlewig-Holstein

Regionalgeld ist im Unterschied zu unserem gesetzlichen Zahlungsmittel, dem Euro, Geld, das nur in einer Region, zum Beispiel Schleswig-Holstein, als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Es bleibt in der Region und fördert dadurch die heimische Wirtschaft.

Jeder Mensch hat Begabungen und Fähigkeiten, jeder kann was. Und mit diesem Können sollte jeder auch seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Wird dieser Gedanke richtig verstanden und konsequent danach gehandelt, gibt es keine Arbeitslosigkeit. Deswegen nennen wir unser Geld „Kann Was".

Mit dem „Kann Was" kann in allen Geschäften, die der Gemeinschaft angeschlossen sind, eingekauft werden. Alle Teilnehmer können auf Wunsch in eine Teilnehmerliste mit ihren eigenen Angeboten eingetragen werden.

Auf monatlichen Treffen der Teilnehmer in zentralen Orten können Erfahrungen ausgetauscht und Kann-Was-Scheine (1.-, 5.-, 10.-, und 20.-) eingetauscht werden.

Umsätze in „Kann Was" unterliegen der üblichen Steuerpflicht. Das Finanzamt nimmt keine Regionalwährungen an.

Es geht nicht um die Abschaffung des Euro, sondern um eine sinnvolle Ergänzung in der Region.

Aus einem Informationsblatt von Frank Schepke,
Hof Seekamp, D-24250 Löptin

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Dreigliederungsgruppe „Zeitreif"

Unser Name "Zeitreif" bedeutet wohl, dass wir meinen, dass die Zeit reif für uns ist, wie auch, dass wir uns bemühen, reif für die Aufgaben zu sein, welche die Zukunft an uns stellt. Er ist zugleich Bild für unseren Arbeits-„Kreis" (beziehungsweise Ring oder eben Reif). In dem Gesellschaftsbild der sozialen Dreigliederung (erstmals 1917 von Rudolf Steiner unter Berücksichtigung der besonderen Lage Mitteleuropas skizziert) haben wir ein Leitbild gefunden, das unsere Arbeit theoretisch und praktisch begründet. Es ist gedacht als Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus. Wir meinen, dass die soziale Dreigliederung auch als integrierendes Leitbild für sämtliche Aktivitäten der Bewegungen der sogenannten kulturell Kreativen und der Globalisierungskritiker dienen kann.

Dreigliederung ist - kurz gesagt - eine besondere Betrachtungsweise der Gesellschaft, durch die drei große Bereiche erkannt werden, für die unterschiedliche Prinzipien gelten. Diese sollen gemäß des Leitbildes auch autonom verwaltet werden, um eine wesengemäß vernünftige Gliederung zu erzielen, ohne dass einer den anderen dominieren darf.

Im geistigen Leben der Menschen verwirklicht und verwirkliche sich die Freiheit, in der Rechtsgemeinschaft der Menschen die demokratische und juristische Gleichheit, in der Wirtschaft die Brüderlichkeit oder Geschwisterlichkeit. Wir brauchen einen „Trialog" zwischen den unabhängigen gesellschaftlichen Sphären.

Seit 2001 haben wir als Untergruppe der mitteleuropäischen Bewegung „Junges Unternehmen Lichtblick" nun unsere Arbeit aufgenommen, die hauptsächlich im Studium von Texten sowie in der Organisation von Vorträgen bestand. Wichtig war und ist uns der Kontakt zu anderen aktiven Gruppen und Strömungen. Wir möchten ein Forum zur Begegnung und Vorstellung von Menschen, Initiativen und Strömungen darstellen. Die Dreigliederung ist für uns eine Hilfe, die gesellschaftlichen Probleme zu erkennen, zu durchschauen, Lösungen zu entwickeln und auch umzusetzen. Treffen finden in der Regel 14-tätig donnerstags um 20 Uhr statt. Wer Interesse hat, teilzunehmen, ist herzlich eingeladen.

Treffpunkt ist das von uns mit aufgebaute „Zentrum für Kulturimpulse" mit integrierter Bibliothek in der Riesstraße 4 in Lörrach unweit des Kreiskrankenhauses.

"Das ganze Geistesleben, vom niedersten Schulwesen bis hinauf zum höchsten Schulwesen, muss auf sich selbst gestellt sein, denn der Geist gedeiht nur, wenn er jeden Tag aufs Neue seine Wirklichkeit und Kraft zu beweisen hat. Der Geist gedeiht nimmermehr, wenn er abhängig ist vom Staat, wenn er der Kuli des Staates, des Wirtschaftslebens ist." (Rudolf Steiner, Vortrag vor Mitarbeitern der Daimler-Werke)

Kontakt: Junges Unternehmen Lichtblick,
Postfach 2325, D-79513 Lörrach

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Der Mensch - ein soziales Wesen

Obwohl man seit einiger Zeit von bestimmten Seiten her versucht, den Menschen als Egoisten, isoliertes, einsames, egozentrisches Wesen darzustellen - und der Sozialdarwinismus hat viel dazu getan (basierend auf Arbeiten des englischen Soziologen Malthus), wo-
raus dann auch die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus gespeist wurde -, erweist sich das Menschenwesen bei genauerer Betrachtung als ganz und gar sozial eingestellt. Dies beginnt schon im Mutterleibe, wo eine Lebensgemeinschaft auf Gedeih und Verderb besteht, setzt sich fort nach der Geburt in der Kleinkindzeit, wo in Nahrungsaufnahme und Spracherwerb eine klare soziale Orientierung besteht. Daher sind die alten Sozialprinzipien blutsgebunden (Stämme, Clans, Völker, Nationen) und das asoziale Prinzip hat zunächst nur die Aufgabe, aus den Blutsbindungen zu befreien. Das kann durch Emanzipation geschehen, durch Auszug aus der Gemeinschaft, oder aber auch durch Liebe
über alle Schranken hinweg (ein urbildliches Beispiel gab Shakespeare mit "Romeo und Julia"). Zahlreiche solche Dramen und Liebesgeschichten gibt es, über Stände-, Clan- oder Rassenschranken hinweg ("Agnes Bernauer", "Der Trompeter von Säckingen", "Winnetou", "Pocahontas" usw.), welche eine neue Form menschlicher Beziehungen und Freundschaften andeuten und einläuten. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass manche solcher Dichterwerke bei Erscheinen Skandale auslösten, gegen bestehende Sittenauffassungen verstießen, ihre Urheber nicht selten verfolgt, exkommuniziert und dergleichen wurden, kurz: dass das Alte sich mit allen Mitteln gegen eine Weiterentwicklung sträubte (auch der Begriff "Staat" bedeutet nichts anderes als "Status", d.h. "das Bestehende").

Selbstverständlich gibt es eine Art Entität, eine unverwechselbare und unvermittelbare Individualität im Menschen, den Funken seines "Ich", den jeder einzig und allein in sich trägt und der nicht übertragbar ist – "ich" kann jeder nur zu sich selbst sagen. Jedoch würde dieses Ich allein für sich, ohne in einem sozialen Zusammenhang zu leben, unweigerlich verkümmern, es würde zugrunde gehen wie eine Schnittblume, der auch noch das Wasser ausgeht. Selbst die schönste Pflanze geht in kürzester Zeit zugrunde, würde ihr der Boden und die Kohlensäure der Luft entzogen - selbst der hartnäckigste Kaktus würde das auf Dauer nicht überleben.

Gerade in der Pflanzen- und Blumenwelt mag man viele Gleichnisse menschlicher Verhaltensweisen finden, mag man an ein Mauerblümchen, an eine Primel, eine Rose oder eine exotische Orchidee denken. Selbst die narzißtischste Narzisse kommt ohne den sozialen Austausch nicht aus, der ihr in Form der Bewunderung zufließt und den sie wiederum mit Unterhaltungswert erstattet. Wohin man auch in der Blumenwelt schaut, man findet auch keine wirklich selbstmörderische Pflanze, selbst das melancholischste Veilchen lebt an seinem schattigen Standort noch getreulich das in es hineingelegte Prinzip und repräsentiert es dadurch, seinen Teil beitragend zum Weltganzen. Daher könnte das Pflanzenreich als Vorbild für unbezweifelte Existenz des Menschen dienen, welche im Einklang mit schöpferischem Willen lebt.

Erst der Mensch kann die "soziale Frage" überhaupt als FRAGE stellen. Im Pflanzen- und Tierreich stellt sie sich gar nicht. Die Biotope und Biozönosen, wie sie die Ökologie feststellt, existieren einfach "von Natur aus" – ohne Fragen und ohne schriftliches Programm. Dies war auch beim steinzeitlichen und frühgeschichtlichen Menschen so. Selbst die frühen Fürstentümer und Monarchien stellten noch eine Art Organismus dar, der gar nicht "in Frage" gestellt wurde. Bis vor kurzer Zeit (vor dem Regimewechsel) war etwas Ähnliches z.B. noch in Thailand der Fall, wo der alte König eine organische Gestalt war, geistliches und weltliches Oberhaupt zugleich, welches bis zum einfachsten Arbeiter tatsächlich geliebt und verehrt wurde (viele Thais hatten z.B. ständig ein kleines Amulett mit dem Bild des Königs bei sich). – Das Verehrungsbedürfnis wurde ursprünglich wettgemacht durch ein tatsächlich würdiges, gerechtes und ehrenvolles "Regieren" (das Wort kommt von "rex", lat. "der König" und ist von daher für westliche Demokratien ["Volksherrschaften"] denkbar unpassend), wie man es hier nur noch aus dem Märchen kennt.

So traurig es sich anhört, man muss eigentlich konstatieren, dass die hauptsächlichsten Vertreter der westlichen Welt überhaupt nicht mehr glaubwürdig sind. Sie sind im wesentlichen Waffenschieber, Gauner, Betrüger, Heuchler u.s.w., und auf Grund ihrer verbrecherischen Geschichte gar nicht mehr in der Lage, irgendetwas Vorbildliches zu repräsentieren. Wie bei echten Gangstern hat sich im Westen ein fataler, höhnischer Zynismus gegenüber allen höheren und edlen Werten ausgebildet. Es ist leider so und lässt sich im Einzelnen nachweisen, dass fast alle westlichen Gesellschaften zunehmend Gauner- und Verbrechergesellschaften sind. In den äußerst wertvollen "Studienmaterialien zur Geschichte des Abendlandes" von Karl Heyer weist dieser auf, wie die Entstehung vor allem des Bürgertums den Grund gelegt hat für diese Entartungen. Aus dem Bürgertum ging hervor das Kaufmanns- und Bankwesen, der "Geldadel", der heute unzweifelhaft die westliche Welt regiert. Der tatsächliche "alte Adel", der noch andere Werte transportierte, ging dagegen in weiten Teilen in Verarmung und Suff unter, in Verzweiflung über die "modernen" Verhältnisse. Den neuerwachten Befreiungsbewegungen des Arbeiterstandes im 19. Jh. fehlte allerdings noch der Bildungshintergrund, um den neuen Formen menschlicher "klassenloser" (!) Gesellschaft, die sich darin andeuteten, die klare Form zu geben. So wurden sie entweder mit restaurativen Maßnahmen gewaltsam niedergeschlagen (1848/49) oder sie wurden vom Gewaltprogramm des Marxismus/Leni-nismus in die Irre geführt (z.B. Ernesto "Che" Guevara, der als Arzt mit höchsten Idealen angetreten war und doch in den Fallstricken der Gewalt scheiterte). Insofern erhält eine "Arbeiterbildungsschule", wie sie von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin gegründet wurde, und an der Rudolf Steiner dann unterrichten konnte, eine epochale Bedeutung. Auch die "Waldorfschule" war zunächst eine Arbeiterschule, von den Arbeitern der Waldorf-Astoria-Zigarettenwerke gewollt und ins Leben gerufen (was mancher bürgerliche Anthroposoph später nicht mehr recht bedachte). Die Arbeiterbewegung, deren frische, neue Kräfte noch einmal in den zwei Maschinen-Weltkriegen aus bürgerlichen Irrtümern heraus verheizt wurden, wurde in der Nachkriegszeit vom immer noch herrschenden, wieder auferstandenen Bürgertum in eine Konsumgesellschaft umgemünzt und damit kastriert. (Die Unfreiheit des Einzelnen in der heutigen "Versorgungsgesellschaft" – ein anderes Wort für Abhängigkeit – ist ein durchaus bürgerlich gelenktes Phänomen.)  

1932 erschien "Der Arbeiter" von Ernst Jünger, welcher, obwohl in manchen Punkten etwas rauschhaft exzessiv und fragwürdig (so wird etwa die menschliche Individu-alität dem "Typus" untergeordnet, was nur im Pflanzenreich zutreffend ist), viele richtige Diagnosen und "seis-mographische Empfindungen" deutlich enthält. So tragen etwa Kapitel symptomatisch die Überschrift "Die Ablösung des bürgerlichen Individuums durch den Typus des Arbeiters" oder "Von der liberalen Demokratie zum Arbeitsstaat". Auch ist die wesentliche Frage vom Verhältnis von Macht und Recht behandelt, wie sie damals am Völkerbund, heute an dessen Nachfolgerin, der UNO sichtbar wird. Überholt ist Jüngers "Arbeiter" insofern, als er noch in der Situation der "Balance of Power"-Politik der Nationalstaaten geschrieben wurde. Die Nationalstaaten sind jedoch inzwischen durch die Globalisierung unterhöhlt und unterwandert worden. So klagten im Frühjahr 2001 ca. 38 Pharmakonzerne gegen den Staat Südafrika wegen Verstoß gegen das Patentrecht (1997 hatte der Staat ein Gesetz erlassen, dass die Behandlung von HIV-Infizierten mit preisgünstigen Medikamenten zulässt. Das Verfahren wurde übrigens auf Druck der Öffentlichkeit im April 2001 eingestellt – siehe Werner/Weiss: Schwarzbuch der Markenfirmen, S. 111 –, die Pharmaindustrie fürchtete "Imageverluste"). Öl-, Pharma- und Textil-Multimilliardäre verfügen inzwischen über höhere Etats als viele Staaten der Erde. Sie stellen eine neue Staatsbildung auf wirtschaftlicher Basis dar. Es ist nur eine Frage der Zeit, die Existenz von "Wirtschaftsstaaten" jenseits aller Nationalgrenzen als solche zu erkennen. Die Wendemarke dazu stellte der Zweite Weltkrieg dar, so wie der Erste die Wende von den Monarchien zu demokratischen Nationalstaaten markierte. Die Befreiung, die das Bürgertum mittels des Kapitals erreichte, die Unabhängigkeit von Adel und Klerus, bildete sich zu neuen Untugenden aus: Die Bevormundung wurde durch kapitalistische Unarten abgelöst. Schon die merkantilistischen Kolonialstaaten bedienten sich bei den von ihnen befallenen Ländern im Stil von Raubrittern, verkleidet als kirchliche Missionare. "Ihre Gesichter sind verzerrt von der Bemühung, wie ehrliche Männer auszusehen" diagnostizierte ein indianischer Häuptling bei der Begegnung mit weißen Verhandlungsführern. "Sie reden Christus und meinen Kattun" sprachen wiederum Afrikaner über die Eindringlinge. Dies ist alles gar nicht so lange her. Noch die Elterngeneration der um 1950 Geborenen ist verstrickt in solche Händel und Bestandteil entsprechender Staaten. Und vor kurzem weigerte sich die Regierung Schröder, ein offizielles deutsches Schuldeingeständnis gegenüber den Hereros in Namibia abzugeben. –

Der alte Ost-West-Konflikt (den auch Rudolf Steiner wahrnahm und daher den "Ost-West-Kongress" veranstaltete) war ein religiös-ideologisch begründeter Konflikt, der sich in der Spaltung der Ost- und West-Kirche, später im Gegensatz Kapitalismus – Kommunismus ausprägte. Im Mittelalter schon in der Spaltung zwischen Ost- und Westgoten zu sehen, ist er ein Weltanschauungskonflikt (auch zwischen Morgen- und Abendland). Der neuere "Nord-Süd-Konflikt" dagegen schlägt eine neue betont soziale Frage an, die zwischen brüderlicher Ethik und Egoismus entscheidet. Vorhut davon war die Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen, wobei es weniger um religiöse Fragen als um Sozialformen ging. (Ähnliches spielt sich heute in der Auseinandersetzung Europas mit dem Islam ab – wenn man genau hinschaut, geht es weniger um religiöse Fragen – beides sind abrahamitische Religionen – als um soziale, wie die Stellung der Frau z.B., welche auch bei den Germanen bereits hochentwickelt war). Auch die afrikanischen Länder fordern vom Europäer eine ethische Besinnung, wofür es mehr als höchste Zeit ist (schon die Indianer taten dies häufig). In all dem sind weltweite soziale Bewegungen spürbar, welche in kommunistischem Aktionismus teils wie Silvestersprengkörper zu früh losgingen. "Unternehmensethik" ist ein modernes Wort, welches sogar die kreidefressenden Wölfe gern in den Mund nehmen. Immerhin legen sie auf ein "gutes Image" wert, und da kann man sie beim Wort nehmen. Organisationen wie "Foodwatch", "Transparency international" etc. sind auf dem besten Wege dazu. Der Weg läuft auf eine globale Zivilgesellschaft hinaus, an der sich jeder beteiligen kann und auch muss. Die alte Technik des strategischen Wissensvorbehaltes und der Vetterles-Seilschaften mussten auf die Dauer dabei auf der Strecke bleiben. Je länger solches währt, desto peinlicher und impotenter sieht es bei Aufdeckung aus. Der Endlichkeit der Erde kann sich keiner mehr entziehen. Das bedeutet, dass auch jedes Hamster-Lager irgendwann auffliegt und seinen Anleger entlarvt. Eine Struktur globaler Transparenz bildet sich langsam heraus und schickt sich an, jeden Winkel zu durchleuchten. Vor ihr kann der Einzelne nur als sozial handelndes und denkendes Wesen wahrhaft bestehen, gemäß Hoffmannsthal’s Jedermann, dem ursprünglichen Namensgeber dieser Zeitschrift, oder dem Spruch aus der Bhagavad Gita:

"Wer es versäumt, der Ordnung dieser Welt durch seine Werke beizustehn und nur an seinen Vorteil denkt, der lebt umsonst."

Andreas Pahl

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Das Erüben der Gemeinschaft

Im Zusammenwirken von Menschen in einer Hof- oder einer sonstigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft werden neue Formen gesucht. Man kann sich dabei an Ergebniszielen orientieren und über eine Prozessorientierung zur Selbstwahrnehmung kommen. Eine wesentliche Hilfe ist die von Rudolf Steiner gegebene soziale Dreigliederung. Für mich ist diese Idee heute die wahre Anthroposophie in der irdischen Wirklichkeit. Wichtig ist dabei die Mitgestaltung, das eigene Entwickeln und Durchdenken.
Die Gemeinschaft ist selber ein Prozess. Es findet eine ständige Veränderung statt, die es wahrzunehmen gilt. Insbesondere ist der andere Mensch wahrzunehmen: Was kann er, was sind seine Bedürfnisse? Daraus ergibt sich, dass die Menschenbegegnung wichtiger ist als Ergebnisse.
In dieser Begegnung ist es auch oft nicht so wichtig, was man sagt, sondern wie man es sagt und was von dem Gesagten ankommt. Man kann auch üben, über seine kleine Gemeinschaft herauszuschauen und anfangen, Zeit- und Weltverantwortung zu übernehmen.
So kann man im eigenen Bereich zum Erüben der sozialen Dreigliederung kommen, im Zusammenleben zwischen Jung und Alt, Eltern und Kindern, aber auch Mann und Frau, Verwandten und Bekannten, Nachbarn und Freunden mit einer sozialen Einrichtung.
In unserer Zeit geht alles in eine Individualisierung hinein. Alles bisher Erlebte, alle sogenannte Tradition, kann heute nicht mehr direkt weitergegeben werden. Früher wurde diese Erfahrung selbstverständlich weitergegeben, wie "vererbt".
Der Andere nimmt von mir nur noch etwas an, wenn er merkt, dass ich meine Erfahrungen verwandelt, umgeschmolzen habe, sie authentisch lebe. Es wirkt dann das beispielhafte Tun im gemeinsamen Tun. Was ich eigentlich alles sagen könnte aufgrund meiner Lebenserfahrung, muss warten, bis ich gefragt werde: Warum machst du dieses oder jenes so oder so, warum hast du diese oder jene Einstellung? Ansonsten kann jeder Ratschlag ein Schlag, jeder Hinweis ein Verweis sein. Es ergibt sich dann nach kurzer Zeit eine unerträgliche Situation, wo oft einer schweigend leidet und sich zurückzieht.
Junge Menschen müssen im Zusammenkommen mit uns spüren, dass sie so angenommen werden und eine Anhörbereitschaft spüren, auch wenn man sie vielleicht zunächst nicht versteht und sowieso alles anders machen würde. Geschickt wäre es, wenn man solange zuhören kann, bis sie selber zu fragen anfangen oder durch Probieren, auch durch Irrtümer, die Fähigkeit erlangen und dadurch Anerkennung als fähige Menschen finden.
Das Wartenkönnen ist wirklich ganz schön schwierig. Es kann sich aber lohnen, weil die jungen Leute auch für uns beispielhafte Fertigkeiten und kreative Ideen erlangen. Es entsteht dann eine schöne Gegenseitigkeit, wo es sich auch zeigt, ob wir selbst noch lernfähig oder lernbereit sind.
Das Miteinander wird besser in freien Verabredungen. Die Verabredungen müssen so konkret wie möglich, bis in Datum, Uhrzeit, Zweck und Umstand, getroffen werden, wobei dabei spontane Unternehmungen, die aus der Freude über eine Begegnung entstehen, willkommen sind.
Es beinhaltet auch, dass man sich dem Anderen gegenüber, insbesondere auch Freunden, seelisch offen und frei äußern muss, insbesondere wenn einem etwas nicht gefällt. Aber auch Freude und Dank können wohltuend geäußert werden. Sonst staut sich etwas auf und entlädt sich explosionsartig.
Erst wenn ich merke, dass der Andere nicht mehr vorhat, bewusst oder unbewusst, mich nach seinen Vorstellungen verändern zu wollen, kann die Begegnung, spontan oder verabredet, befreiend, offen und freudig werden.
Im Alter sollten viele Tätigkeiten des Tagesablaufes rhythmisch, aber nicht sklavisch taktgleich ablaufen. Das kann mit dem noch mehr sporadisch-beweglichen Tagesablauf eines jüngeren Menschen zu Koordinationsproblemen führen. Deshalb ist eine freie Absprache angebracht.
Eine freie Gemeinschaft kann nur auf der Freiheit des Einzelnen gegründet sein. Sie lebt von der Mündigkeit. Jeder hat gleiche Rechte und Pflichten, bei unterschiedlichen Fähigkeiten im Physischen und Seelischen. Es schafft Räume für eigene Initiativen.
Gemeinschaft, Freundschaft kommt heute nur noch in rechtmäßiger Weise zustande, wenn die Einzelnen sie wollen und nicht, weil man verwandt ist, im gleichen Haus oder nebeneinander wohnt oder das gleiche Büro teilt. Auch in einer Familie müssen Ehepartner und Kinder die Gemeinschaft wollen und sich absprechen.
Man muss und kann es aushalten lernen, sich eventuell tagelang nicht zu sehen oder zu sprechen. Allerdings sollte einer dann die Kraft und Fähigkeit haben, den ersten Schritt für Blick und Wort zu finden. Das geht auch immer, wenn man sich grundsätzlich annimmt, als Mit-Mensch anerkennt.
Aus der Freiheit des Einzelnen muss die Achtung für die Freiheit anderer erwachsen, die eine Sphäre der Rechtsgleichheit und Demokratie begründet. Aus der Freiheit muss aber auch die Sorge um den anderen entspringen, eine bis ins Materiell-Wirtschaftliche gelebte Brüderlichkeit.
Wenn man diesen Lernprozess durchschreitet, kommen bewusste Begegnungen zustande in einer wirklich liebevollen Atmosphäre, auch mit spontanen künstlerischen Aktionen. Dann ist Vertrauen vorhanden, Verkrampfung löst sich, ein Scheitern der Gemeinschaft wird verhindert.

Wolfgang Sell

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Probleme des Einzelnen und der Gemeinschaft

Der Einzelne wird sich immer eine Gemeinschaft suchen, die ihm möglichst alles das zur Verfügung stellt - und zwar mühelos -, was er selbst für sich braucht und wünscht. Das ist sehr verständlich. Die Gemeinschaft jedoch wird niemals etwas anderes tun können, als die Möglichkeit zu schaffen, dass der Einzelne sich in ihr zu seiner Individualität entwickeln kann. Die Gemeinschaft kann nur die Möglichkeiten schaffen, dass der Einzelne sich im Laufe einer längeren Zeit in sie einleben kann, um zu prüfen, ob die Gemeinschaft ihm die Wege zeigt, die zu einer Bereicherung seiner Individualität führen können. Sie kann nur Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, die dann von dem Einzelnen ergriffen werden müssen. Ergreift er sie, dann wird er im Laufe der Zeit sowohl in seiner Individualität stärker werden als auch, wenn er es will, eine immer stärkere Stütze der Gemeinschaft werden können.

Man kann nicht einen Einzelnen von heute auf morgen zu einem tragenden Glied dieser Gemeinschaft machen. Eine lebendige Gemeinschaft hat keine Posten zu vergeben. Sie schafft lediglich die Möglichkeit, dass der Einzelne die Gemeinschaft kennen lernen und im Laufe der Zeit beurteilen kann, ob er zu ihr gehören will, was zugleich bedeuten würde, dass er durch Aktivierung seiner Fähigkeiten auf einem oder mehreren Gebieten eine tragende Funktion innerhalb der Gemeinschaft übernimmt.

Nicht abstrakte Ziele, sondern lebendige Entwicklungsmöglichkeiten schaffen und beleben eine Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft lebt nicht von abstrakten Feststellungen, sondern aus langdauernden Erfahrungen, die sie mit ihren einzelnen Mitgliedern macht.

Eine lebendige Gemeinschaft muss auf dem Prinzip menschlicher Gleichberechtigung beruhen. Diese kann nur die Form haben, dass jedes Mitglied - ganz egal, ob einer länger oder kürzer zu ihr gehört - das gleiche Recht zum Aussprechen seiner Gedanken, seiner Kritik und so weiter hat. Nur dadurch, dass die Gedanken und Empfindungen der Mitglieder einer Gemeinschaft frei miteinander im Austausch stehen, kann sich fortlaufend aus Erfahrung und Erkenntnis die richtige Ansicht von der falschen scheiden.

Es könnte sein, dass ein noch sehr junges Mitglied der Gemeinschaft, an Jahren jung und auch an Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, über bestimmte Fragen sehr schnell ein besseres Urteil hat als andere, die schon lange zu dieser Gemeinschaft gehören und die auch an Jahren älter sind. Die Gemeinschaft würde sich selbst schädigen, wenn sie sich solcher Fähigkeiten, die unter Umständen bei sehr jungen Menschen zu finden sind, berauben würde.

Diejenigen, die schon lange in der Gemeinschaft sind, und auch besonders die an Jahren schon älteren, werden darauf achten müssen, dass dieses obengenannte Prinzip immer wieder bewusst gemacht wird. Das ist aus einem menschlichen Grunde deshalb notwendig, weil damit zu rechnen ist, dass jüngere Mitglieder in einer Gemeinschaft zunächst sehr gehemmt sein werden in der Äußerung ihrer Ansichten. Aus einem praktischen Grunde ist es deshalb nötig, damit alle Fähigkeiten derer, die in der Gemeinschaft leben, auch zum Tragen gebracht werden.

Es ergibt sich aus dem Zusammenleben von selbst, dass zunächst die Gedanken derer, die schon lange in der Gemeinschaft sind, und auch derer, die an Jahren älter sind, mehr Gewicht haben werden als die Gedanken der Jüngeren. Nur durch immer wiederholten Erfahrungsaustausch und durch immer neue Prüfung dessen, wie sich die Gedanken der Einzelnen bewährt haben, wenn sie in die Praxis umgesetzt wurden, ergibt sich die immer wieder notwendige Revision des oben angedeuteten Zustandes.

Es darf nicht verkannt werden, dass es für die älteren Menschen doch in mancher Hinsicht eine starke Zurücksetzung eigener Lebensvorstellungen erfordert, wenn sie mit jüngeren Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben wollen.

Eine fruchtbare Gemeinschaft ist immer nur zwischen Jüngeren und Älteren möglich. Radikal gesprochen könnte man sagen: Ältere, die sich in ihrem eigenen Kreis abschließen, gehen einer unvermeidlichen Vertrocknung, einer Verknöcherung entgegen. Junge, die in einer Gemeinschaft nur unter sich bleiben wollen, sind stets der Gefahr der Chaotisierung und damit des Zerfalls ihrer Gemeinschaft ausgesetzt. Nur aus der Zusammenarbeit von Älteren und Jüngeren, von Männern, Frauen, Mädchen und Jünglingen kann etwas wirklich Gemeinsames, etwas wirklich Fruchtbares entstehen.

Ältere Menschen haben in der Regel ein größeres Bedürfnis nach Ruhe und Besinnlichkeit. Ältere, die herumtoben wollen, um zu beweisen, dass sie jung sind, sind Karikaturen.

Der junge Mensch lebt und muss leben aus der Aufnahme vieler sehr verschiedener Eindrücke. Der ältere Mensch braucht Zeit und Ruhe, um die Eindrücke und Erfahrungen, die er gesammelt hat, zu ordnen.

Jüngere Menschen brauchen Feste, brauchen auch einmal Lärm und viel Bewegung. Ältere Menschen werden gerade dann, wenn sie im richtigen Sinne älter geworden sind, das Bedürfnis nach mehr Ruhe und Abgeschlossenheit empfinden, um ihre Aufgabe der Gemeinschaft gegenüber zu erfüllen, denn die Aufgabe der Älteren wird in erster Linie darin bestehen, die Dinge zu überschauen und aus der Übersicht heraus tätig zu sein.

Die Älteren werden sich sehr genau daran erinnern, dass es sie auch sehr wenig oder gar nicht störte, wenn in den Zeiten, als sie noch sehr jung waren, lärmendes Leben um sie herum brandete. Sie wissen
aber, dass es für sie als ältere Menschen außerordentlich hinderlich für die Arbeit ist, wenn sie einem solchen auch jetzt noch ausgesetzt sind.

Der ältere Mensch braucht in der Regel sehr viel notwendiger die Ruhe als der Junge. Wenn der jüngere Mensch einmal eine Nacht durchmacht, so kann er einfach aus einem gewissen Übermaß noch vorhandener körperlicher Kräfte das beziehen, was er für seine Tagestätigkeiten braucht. Der ältere Mensch kann das sehr viel schwerer. Er ist einfach mehr darauf angewiesen, dass in den Stunden, wo er ruhen kann, er auch wirklich von der Außenwelt einigermaßen abgeschlossen ist.

Solche Dinge müssen berücksichtigt werden, und es muss erkannt werden, dass die Gleichberechtigung nicht einfach abstrakt auf Gebiete ausgedehnt werden kann, wo starke Unterschiede vorliegen.

Solche Gedanken sollten selbstverständlich nie als abstrakte Grundsätze aufgefasst werden. In einer Gemeinschaft kann man nur durch gegenseitige Verständigung leben. Und es kann durchaus sein, dass sich in einem praktischen Falle ergibt, dass ein jüngerer Mensch aufgrund seiner besonderen Lebenslagen sehr viel mehr der Ruhe und der Abgeschiedenheit bedarf als ein älterer. Es muss hier einfach gesunder Menschenverstand walten.

Wie kann jemand neu hineinwachsen?

Eine Gemeinschaft kommt dadurch zustande, dass ihre Mitglieder sich durch ein gemeinsames Anliegen verbunden fühlen. Dieses Anliegen kann darin bestehen, dass die Einzelnen gemeinsam ihre geistige, seelische und menschliche Weiterentwicklung betreiben wollen.

Ist dies der Fall, dann wird die Gemeinschaft bestimmte Formen entwickeln, die sich aus ihren Anschauungen und ihrem gemeinsamen Leben als geeignet erwiesen haben, diesem Ziel zu dienen. Sie wird, um ihren irdischen Bestand zu sichern, vielleicht auch gemeinsam in wirtschaftlicher Beziehung zusammenarbeiten. Auch daraus werden sich bestimmte Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens entwickeln.

Der Einzelne, der an eine solche Gemeinschaft herantritt, um sie kennen zulernen, wird also jeweils eine bestimmte Form des gemeinschaftlichen Lebens vorfinden.

Die Gemeinschaft wird - wenn sie ihre eigenen Interessen recht versteht - dem Einzelnen die Möglichkeit freier Orientierung, gleichsam ein freies, probeweises Zusammenleben mit sich ermöglichen. Sie wird dabei die Wahrung ihrer Belange in das rechte Verhältnis zu dem Einzelnen zu bringen haben, der sich über sie informieren will.

Hat sich die Gemeinschaft zum Beispiel hinreichende Geldmittel erarbeitet, dann wird sie dem Einzelnen für eine bestimmte Zeit ein kostenloses Zusammenleben mit sich ermöglichen; denn es wird ihr ja daran liegen, den Zugang zu sich nicht unnötig zu erschweren.

Verfügt die Gemeinschaft nicht über solche Geldmittel, dann wird sie nicht umhin können, von dem Einzelnen, der sich informieren will, eine wirtschaftliche Leistung zu verlangen, die etwa im Verhältnis zu ihren eigenen Aufwendungen steht.

Der Einzelne, der sich über die Gemeinschaft informieren will, wird nach einer gewissen Probezeit, die durch freie Absprache bestimmt werden kann, beurteilen können, ob er sich ihr näher verbinden möchte. Kommt er zu dem Entschluss, in die Gemeinschaft hineinzugehen, so wird er zunächst längere Zeit aufnehmend und mitarbeitend in ihr tätig sein. Selbstverständlich wird er von Anfang an das Recht haben müssen, seine Fragen, seine Gedanken und auch seine Kritik zu äußern. Aber es wird in menschlicher Hinsicht gerade darin ein wichtiger Prüfungsstein liegen, ob ein Einzelner, der sich über eine Gemeinschaft informieren will, zunächst einmal wartend aufnimmt oder ob er gleich eingreift, kritisiert, verbessern will, ohne noch die genügende Kenntnis des Ganzen überhaupt haben zu können.

Das ist selbstverständlich auch kein abstrakter Grundsatz. Es könnte durchaus sein, dass ein bestimmter Mensch sofort den Drang hat, Gedanken zu äußern, Kritik zu üben, und dass sich bei ihm nach längerer Zeit herausstellen könnte, dass in dieser seiner Eigenart nicht nur eine Anmaßung oder überhaupt keine Anmaßung lag.

Sinnlos wäre es allerdings, wenn ein Einzelner in eine Gemeinschaft einträte, um sie von Anfang an grundlegend zu reformieren. Die Gemeinschaft müsste sich dagegen - mit Recht - zur Wehr setzen. Der grundlegend andere Vorstellungen von einer Gemeinschaft hat, darf nicht als Neuling eine andere reformieren wollen. Er muss dann selbst eine zu schaffen suchen, die seinen Vorstellungen entspricht.

Der Entschluss des Einzelnen, in eine Gemeinschaft einzutreten, trifft zusammen mit der Freiheit der Gemeinschaft, ihn bei sich aufzunehmen. Diese gegenseitige Freiheit schafft einen freien Raum der Mitte, in dem sich die beiderseitigen Absichten fließend begegnen und ausgleichen können.

Der Einzelne schafft sich durch seine Mitarbeit in der Gemeinschaft, durch sein persönliches Wirken allmählich eine geistige Autorität. Diese Autorität entsteht durch die Einsicht und die Erkenntnis der anderen um das Positive seiner Wirksamkeit.

In dem Maße, in dem der Einzelne durch sein Wirken eine Autorität erreicht hat, wird er in einer selbstverständlichen Weise zum Mitgestalter der Gemeinschaft, naturgemäß besonders auf den Gebieten, wo sich seine Ansichten und sein Urteil als richtig erwiesen haben oder wo seine Tätigkeit, ganz egal, ob sie auf geistigem, seelischem oder mehr körperlichem Gebiet liegt, sich als positiv erwiesen hat.

Auch hier bedarf es keiner starren Regelungen. Die Autorität ergibt sich nicht durch Festlegungen, sondern durch freie Einsicht. Die Mitglieder einer Gemeinschaft werden naturgemäß demjenigen zumindest ausgiebig Gehör schenken, von dem sie wissen, dass er durch seine Leistung auf irgendeinem Gebiet der Gemeinschaft Gutes zugefügt hat.

Genauso selbstverständlich ist es, dass man demjenigen skeptisch gegenübertritt, der sich mit wenig Leistung, aber viel Forderung in die Gemeinschaft stellt. Es ist auch in jedem Menschen mehr oder weniger bewusst ein Organ vorhanden, das ihm diese Dinge erkennbar macht. Gerade innerhalb einer Gemeinschaft werden solche Organe durch das freie Zusammenleben der Menschen sehr ausgebildet.

Das sicherste Mittel, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden, ist, dass man bestimmte Tätigkeiten für die Gemeinschaft übernimmt, die von allen als notwendig und positiv anerkannt werden. Tut man das, dann ist der beste Ansatzpunkt für eine innere Zugehörigkeit zur Gemeinschaft gegeben.

Es zeigt sich im Zusammenleben der Gemeinschaft immer wieder, dass die persönlichen Schwierigkeiten eines Menschen, auch wenn sie sehr, sehr groß sind, bewältigt werden können, wenn dieser Mensch auf irgendeinem Gebiet außerordentlich Positives für die Gemeinschaft leistet. Man kann geradezu sagen: Ein Mensch, der sehr viele persönliche Schwächen hat, der aber auf der anderen Seite außerordentlich viel an die Gemeinschaft hingibt, einfach für sie tut, wird letzten Endes für die Gemeinschaft wirklich positiver sein - und auch von den anderen in der entsprechenden Weise als wichtig und zugehörig empfunden werden - als einer, der ein ausgezeichneter Mensch sein mag, der aber sehr wenig Neigung hat, irgendetwas Wichtiges für die Gemeinschaft zu tun.

Die Menschen haben im allgemeinen die Neigung, diejenige Tätigkeit, die sie selbst tun, außerordentlich hoch einzuschätzen, und die Tätigkeiten anderer, die ihnen weniger liegen, zu gering zu schätzen. Diese sehr verbreitete menschliche Schwäche wird selbstverständlich in einer Gemeinschaft immer wieder zum Problem.

Wer vorwiegend körperliche Arbeit in ihr leistet, wird oftmals davon ausgehen, dass die geistige oder die seelische Arbeit, die ein anderer vorwiegend tut, eigentlich unnötig sei, weil sie vielleicht in nicht so sichtbarer Form die Gemeinschaft erhält.

Andererseits können gerade diejenigen, die in einer Gemeinschaft eine geistig tragende Tätigkeit ausüben, sehr leicht zu der Ansicht verführt werden, dass ihre Tätigkeit im Grunde genommen sehr viel wichtiger sei als die Tätigkeit anderer.

Am schlechtesten in der Beurteilung ihrer Leistung kommen sehr oft die Menschen weg, die aus dem seelischen Bereich heraus ihre positivste Kraft in die Gemeinschaft hereingeben können. Denn gerade das, was im Seelischen lebt, was mehr im Gefühlsmäßigen des Ausgleichens von Mensch zu Mensch seine Wirkung hat, wird sehr oft nicht auf denjenigen bezogen, der diese Wirkung in erster Linie ausübt.

Bei nüchterner Betrachtung stellt sich dagegen heraus, dass die wirtschaftliche Tätigkeit sowohl im geistigen Bereich der Planung als auch in dem der mehr körperlichen Arbeit für die Erhaltung der Gemeinschaft ganz genau so wichtig ist wie die seelische Wirksamkeit von Menschen, die Ausgleiche bewirken können und die mehr geistige Tätigkeit anderer, die vorwiegend im Erkenntnisbereich tätig sind.

Wir haben in einer Gemeinschaft eine außerordentlich gute Möglichkeit, das zu üben, was wir als das Vorbild einer neuen sozialen Ordnung vor Augen haben. Sie beruht auf der gleichen Achtung vor jedem Menschen. Diese Achtung ergibt sich nicht aus einer ethischen Anstrengung, sondern aus der ganz nüchternen Einsicht in die tragende Bedeutung körperlicher und geistiger Tätigkeit innerhalb einer Gemeinschaft.

Peter Schilinski

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  Guten Tag, jetzt ist es bald soweit:

Ab nächstem Jahr werde ich die Arbeit im Eulenspiegel als Pächterin übernehmen.

„ Ich": ... heiße Monika Halbhuber, bin 44 Jahre alt, habe zwei Kinder, lebe mit dem Vater meiner Kinder zusammen und habe vier Hasen mitgebracht.

Wir sind gerade dabei, uns in der Wohnung im Nebengebäude einzurichten, meine Kinder gehen hier in Schule und Kindergarten, und ich arbeite kräftig daran, notwendige Renovierungsarbeiten und Neuanschaffungen zu planen und zu koordinieren.

 Wie kam es dazu?

Den Eulenspiegel kenne ich schon seit seiner Gründung, zuerst als Gast, da ich hier in der Umgebung aufgewachsen bin, dann als Holzhausgast während der Sommerferien und schließlich 1980 als Mitglied der Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft und Mitarbeiterin am „Jedermensch" bis 1990. Den Dieter und die Ursel kenne ich noch von früher. Letztes Jahr war ich im Frühjahr 10 Wochen mit meinen Kindern bei Nunzio und Renate auf Sizilien zu Besuch, genau die Zeit, in der auch Dieter mit seiner Familie dort in Urlaub war. Die Frage kam auf, ob ich nicht den „Eulenspiegel weitermachen" wolle. Für mich war klar: „ Natürlich nicht, ich wohne jetzt in Konstanz und bin sehr aktiv am Aufbau einer frei arbeitenden Schule beteiligt und habe vor dabei zu bleiben."

Doch es kam anders: Irgendwann saß ich da und wollte „ganz unverbindlich" mit dem einen oder qnderen Gespräche über die Vorstellungen des Vereines, wie es mit der Gaststätte weitergehen soll. Ja, - und jetzt wohne ich bereits zwei Monate hier und bereite mich aktiv vor auf die Pachtübernahme und vorherige Renovierung.

 Warum renovieren? Warum investieren?

Nach eingehenden Gesprächen mit Dieter und den Mitarbeitern und aus meiner eigenen gastronomischen Erfahrung heraus habe ich mir ein Bild darüber gemacht, was es alles braucht, einen gastronomischen Betrieb, von dessen Erwirtschaftung wir Menschen und der Verein als Vermieter auch leben können sollen, wieder für die Gäste attraktiver zu gestalten. Arbeitsabläufe sollen vereinfacht werden, der Gastraum wohnlicher, das Preis-Leistungsverhältnis soll betriebswirtschaftlich besser zu tragen sein. Bewährtes darf bleiben, der Eulenspiegel soll wie bisher regional wie überregional ein Ort der Begegnung sein und das in enger Zusammenarbeit mit dem „Modell". Die Kinderfreundlichkeit hier im Hause soll auch ganz konkret in der Gaststätte mehr ihren Raum bekommen. Bedürfnisse, wie mehr Rauchfreiheit oder ein kleines Nebenzimmer, wollen beachtet werden.

Lang anstehende Reparaturen oder das Ersetzen längst veralteter Installationen im Haus werden dabei als Voraussetzung angesehen, vor allem wenn ich dem Wunsch nach einer neuen Theke entspreche, die den heutigen Ansprüchen von Angebotsvielfalt bei gleichzeitiger schneller und kompetenter Betreuung der Gäste genügt.

 Die Küche sollte rationeller arbeiten dürfen. Wir arbeiten weiterhin dafür, die Lebensmittelqualität im höchsten Bereich zu halten. Biologisch ökologisch ausgerichtete Produkte bleiben für uns wichtig. Allerdings verlangen bei uns die Gäste ein relativ preiswertes Essensangebot, besonders die Touristen im Sommer legen mehr Wert auf Schnelligkeit, reichliches und schmackhaftes Essen. Wenn wir diesen Spagat tragen wollen, geht das nach meiner Erfahrung nur durch genau durchkalkulierte Angebote, eine ausgeklügelte Arbeitsablaufplanung und die Hilfe der modernen Technologie in der Speisenzubereitung.

 Hier greift ein Veränderungspunkt in den nächsten – und alles kostet Geld. Durch die staatlichen Förderprogramme kann ich als Existenzgründerin zu günstigen Zinssätzen Investitionen tätigen. Der Verein ist hier Bürge – mit dem Vorteil, dass ich günstigere Zinsen bekomme und dass die pächterunüblichen Investitionen durch mich finanziert werden. Sollten unsere Wirtschaftlichkeitsvorausberechnungen alle wider Erwarten für den Wind sein – ein Restrisiko bleibt immer – dann hat der Verpächter immer noch weitere Wege zur Investitionsfinanzierung offen.

 Ich halte in diesem Falle nichts mehr von Aussagen, wie „erst mal anfangen und ausprobieren". Ich bin der Ansicht, dass in den letzten Jahren die Mitarbeiter des Eulenspiegels genug gearbeitet haben und probiert haben, mit sowenig Veränderungen wie möglich erfolgreich zu sein.

 Wir versuchen, den Gästen aus der Umgebung und uns selbst ein Zeichen zu setzen: Mit uns könnt Ihr weiterhin rechnen, wir sind mehr denn je für Euch und Eure Bedürfnisse da und wir scheuen keine Mühen dafür. Das Ziel und die Grundlage soll sein, der Linie des Eulenspiegels treu zu bleiben.

 Was sich für mich gegenüber den Anfängen verändert hat: Es gibt in dem alten Sinne keine Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mehr. Und der Peter fehlt mir, wenn in mir Erinnerungen auftauchen.

 Allerdings: Es gibt immer noch eine Wohn –Gemeinschaft im Haus, und wir haben unsere menschlichen Prozesse und Gespräche darüber.

Es gibt mehrere Arbeitsgemeinschaften im Haus.

Für die Mitarbeiter im Cafe-Restaurant gilt: Nur wenn wir alle gemeinsam zu unserer Arbeitsweise und den Produkten „ja" sagen können, entwickeln wir die Kraft, die auf andere Menschen anziehend wirkt.
Es gibt die Vereins-Arbeit, sie geht auf allen Ebenen weiter.
Ich drücke unserem Team und allen, die jetzt so sehr an dieser Erneuerung mitarbeiten, ganz dolle die Daumen, dass wir mit unserem Konzept richtig liegen und erfolgreich sind.
Ich freue mich über die rege Anteilnahme.
Ich erlebe soviel Zuspruch und Hilfe – mir ist wohl bewusst, dass es auch andere Zeiten geben kann.
Ich bedanke mich bei all den Menschen, die bisher den Eulenspiegel weiter getragen haben, für Euer Engagement, Eure Offenheit und Eure Mitarbeit.

 Monika Halbhuber

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Das erste kleine Seminar zum Thema Anthroposophie mit Anton Kimpfler in CaseCaroCarrubo vom 1.-3.Oktober 2004

Eine Überraschung nach der anderen!

Nach zwölf Jahren, die es CaseCaroCarrubo gibt, kam es jetzt zur ersten Begegnung mit unserem Freund Anton und einer ersten Annäherung an die Anthroposophie. Schon seit einigen Jahren spüren wir die Neugier unserer sizilianischen Freunde und Freundinnen zum Thema Anthroposophie, angeregt auch durch verschiedene Gespräche mit Renate und ihren Erfahrungen im ‚Eulenspiegel’. So entstand die Idee zu diesem ‚Piccolo seminario-incontro’, ohne große Erwartungen, noch Vorbereitung; einfach sich treffen, austauschen und Neues erfahren. Dank der Bereitschaft von Anton Kimpfler, der nicht nur als Seminarleiter, sondern auch als Freund kam und sich nicht scheute, 2000 km für vier Tage auf sich zu nehmen (seine erste Reise nach Sizilien), dank der Zusammenarbeit und Beteiligung von einigen Freund/Innen hier, realisierte sich diese Idee mit Erfolg.

Am Freitag, dem 1.Oktober um 18Uhr begann das Seminar mit über 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Darunter eine Gruppe Lehrerinnen aus Modica, die sich vom Thema angezogen fühlten und die wir bei dieser Gelegenheit kennen lernten, alte und neue Freundinnen und Freunde aus der Umgebung, zwei Frauen von der Waldorfschule in Palermo – auch sie zwei neue Gesichter.

...Eine Überraschung nach der anderen: Ehrlich gesagt, rechnete ich nicht mit so einer großen Teilnehmer/Innenzahl und vor allem nicht damit, dass das Treffen in ruhiger, achtungsvoller Atmosphäre, mit dem Willen zuzuhören, mitzugehen und zu verstehen, verlief. Denn das sind Dinge, die normalerweise schwierig zu erreichen sind, wenn sich Sizilianer/Innen treffen. Was das Zuhören sicherlich erleichtert hat, war die gute Übersetzungsarbeit der drei Übersetzerinnen

(Ruth aus Palermo, Katharina vom Eine-Welt-Laden in Ragusa und Renate).

Die Abendtreffen dauerten rund zwei Stunden. Meine Eltern hatten sich bereit erklärt, das Seminar zu bekochen, sodass Renate und ich die Möglichkeit hatten, uns ganz auf das Seminar konzentrieren zu können.

„Mein eigenes Wesen, der Mitmensch und die ganze Gesellschaft" lautete der Titel der Einladung zum Seminar. So gliederten sich die drei abendlichen Treffen (kleiner Vortrag von Anton mit anschließendem Gespräch) in die drei Themen:

Freitag: ‚Wie erkenne ich mich selber?’ - Die Bedeutung der anthroposophischen Geisteswissenschaft.

Samstag: ‚Fragen der Entwicklung der menschlichen Beziehungen’

Sonntag: ‚Impulse für die soziale Zukunft?’ – Die heutige Weltlage und die gesellschaftliche Dreigliederung.

Tagsüber trafen wir uns mittags im kleineren Kreis, sprachen z.B. sonntags mit den zwei Frauen aus Palermo über ihre Erfahrung an der Waldorfschule in Palermo und über Sizilien. Wir machten einen Rundgang über das Grundstück, einen kleinen Spaziergang in die Umgebung und nicht zu vergessen die Bewegungsspiele mit Anton und die Klangspiele mit Dario, einem befreundeten Musiktherapeuten.

Den abendlichen Abschluss bildeten das gemeinsame Essen, Spiele mit Anton und Musik.

Was ist mir vom Seminar geblieben?

Anton war für mich bei dieser Gelegenheit auch eine Überraschung. Ich hatte den Eindruck, dass er auf einfache Weise sprach. Ich konnte ihm ohne Schwierigkeit folgen, was mir bei den Treffen im ‚Eulenspiegel’, wo wir uns das erste Mal kennen gelernt haben, nicht gelang.

Nach einer kurzen Vorstellung seinerseits, beschrieb er seine erste Begegnung mit der Anthroposophie in Deutschland in einem ziemlich festen, konservativen, geschlossenen Umfeld. Für ihn war klar, dass der anthroposophische Weg nicht das Wissen weniger sein kann, sondern ein Weg im Sozialen.

Sich selbst kennen zu lernen ist Teil eines sozialen Prozesses und des individuellen Wachstums.
Wie oft machen wir uns glauben uns zu kennen. Es ist, als hätte jede/r von uns viele doppelte Persönlichkeiten oder Doppelgesichter, die wir aus Bequemlichkeit gebrauchen.

Man erkennt sich nicht selbst, wenn man nicht miteinbezieht, dass es über uns einen Kosmos gibt, wo die geistige Welt lebt, und dass das Individuum eine starke Bindung an die Natur hat. Der Kosmos und die Natur sind zwei Grundelemente für das Leben eines Menschen. Das eine hilft dabei, sich kennen zu lernen, das andere erhält ihn am Leben. Die Natur braucht den Menschen nur, sie zu erhalten, zu pflegen und sie nicht zu missbrauchen. Sie hat eine klare und ausgeglichene Aufgabe im Universum, versinnbildlicht in einem großen Baum, der seine Wurzeln weit in der Erde hat. Der Mensch ist vergleichbar mit einem umgedrehten Baum; er muss seine Wurzeln nach oben entwickeln, zum Kosmos, zur spirituellen Welt hin. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es sie gibt, wenn wir uns ein inneres Bewusstsein aneignen wollen. Die Natur hilft uns dabei, wirkliche Lebenswerte wieder zu entdecken, die fast verlorenen, abgescheuert vom ungebremsten Konsumismus unserer Zeit, wo alles schnell verbraucht wird, sodass schon im Alter von dreißig Jahren Müdigkeit und Langeweile vorherrschend werden.

Wenn der Mensch schläft, lebt er in der geistigen Welt. Das Bewusstsein von der Präsenz dieser Welt hilft, sich selbst kennen zu lernen, Anstöße zu bekommen, die auch zu Veränderungen in der Gesellschaft führen können. Auf unserem Lebensweg passiert es uns oftmals, dass wir uns verlieren, uns nicht mehr wieder erkennen; alles erscheint uns negativ und dass sich nichts verändert. Das stimmt nicht. Denn jede/r von uns ist, wenn er schläft, in Verbindung mit der kosmischen Geistigkeit. Manchmal erinnern wir uns an die Träume, aber wir träumen jede Nacht! Nur, dass wir uns nicht daran erinnern können. Im Traum, im Schlaf lebt unser Schutzengel, der uns Ratschläge gibt, uns zur Klarheit hilft. So kann es geschehen, dass ganz plötzlich im Lebenslauf die Veränderungen eintreten, ohne dass wir sie erwartet hätten und alles ändert sich, denn nichts in diesem Leben bleibt immer gleich.

Die wirklichen Veränderungen in unserer Gesellschaft sind die in ‚piccoli passi’, in kleinen Schritten herbeigeführten. Mit Projekten, die dem einzelnen Menschen angepasst sind, sein persönliches Wachstum fördern und ihm helfen, die wirklichen Werte des Lebens wieder zu finden.

Mit dieser Idee ist auch CaseCaroCarrubo geboren, mit dem Ziel, ‚Schritt für Schritt’ die Natur und das persönliche Wachstum zu pflegen.

Persönlich bleibe ich von der Vorstellung des eigenen Engels beeindruckt und auch wenn ich skeptisch bin, an die Veränderungen glaube ich! Vielleicht auch geprägt durch die Wege, die mein Leben bis jetzt nahm. Die Gedanken von Anton haben meine Seele berührt, dort wo meine Empfindsamkeit lebt und es ist vielleicht da, wo sich mein Engel verbirgt.

Von den drei Tagen habe ich viel Energie und Kraft bekommen hier in CaseCarrubo weiter zu machen und ich hoffe, dass diesem ersten Seminar weitere in der Zukunft folgen werden.

Nunzio Taranto
(Übersetzung: Renate Brutschin)

Kleiner Zusatz von mir (Renate Brutschin):

„Das ist eben die Kunst, exakt und beweglich gleichzeitig zu sein."

„In der Vergangenheit war das Zentrum eines Ortes die Kirche, heute sind es die Banken und in Zukunft müssen es die Kindergärten werden."

Das sind zwei Aussagen von Anton Kimpfler, die mir geblieben sind.

Am zweiten Abend, als es um die menschlichen Beziehungen ging, waren auffällig viele Männer da. Anton war überrascht, denn zu diesem Thema kommen häufig fast nur Frauen.

Die Bewegungsspiele fand ich sehr hilfreich und ausgleichend. Nur die Köpfe zu „bewegen", fest auf den Stühlen sitzend, lässt den Gesprächsinhalt nicht gut „zirkulieren"….die „Handgreiflichkeit" der Spiele macht ihn fühl- und erlebbarer. Keine komplizierten Abläufe (in die sich unsere Gedanken leicht verirren können), sondern Einfachheit, Direktheit machen diese Spiele aus. Gleich wie die Klangspiele mit Dario (obwohl dabei schon mehr auf ein gemeinsames Miteinander zu achten war)… aber wer hätte gedacht, dass sich Schrubber und Einkaufstüten zum Musik machen eignen?

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Tun und nehmen, was nötig ist

Undankbar wäre es, wollte ich den Menschen vergessen, der mich zwei der schwierigsten Dinge des Lebens gelehrt hat: einmal, aus völliger innerer Freiheit heraus sich der stärksten Macht der Welt, der Macht des Geldes nicht unterzuordnen, und dann, unter seinen Mitmenschen zu leben, ohne sich auch nur einen einzigen Feind zu schaffen.

Ich lernte diesen einzigartigen Menschen auf ganz einfache Weise kennen. Eines Nachmittags - ich wohnte damals in einer Kleinstadt - nahm ich meinen Spaniel auf einen Spaziergang mit. Plötzlich begann der Hund sich recht merkwürdig zu gebärden. Er wälzte sich am Boden, scheuerte sich an den Bäumen und jaulte und knurrte dabei fortwährend.

Noch ganz verwundert darüber, was er nur haben könne, gewahrte ich, dass jemand neben mir ging - ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, ärmlich gekleidet und ohne Kragen und Hut. Ein Bettler, dachte ich und war schon dabei, in die Tasche zu greifen. Aber der Fremde lächelte mich ganz ruhig mit seinen klaren blauen Augen an wie ein alter Bekannter.

»Dem armen Tier fehlt was«, sagte er und zeigte auf den Hund. »Komm mal her, wir werden das gleich haben.«

Dabei duzte er mich, als wären wir gute Freunde; aus seinem Wesen sprach eine solch warmherzige Freundlichkeit, dass ich gar keinen Anstoß an dieser Vertraulichkeit nahm. Ich folgte ihm zu einer Bank und setzte mich neben ihn. Er rief den Hund mit einem scharfen Pfiff heran.

Und nun kommt das Merkwürdigste: mein Kaspar, sonst Fremden gegenüber äußerst misstrauisch, kam heran und legte gehorsam seinen Kopf auf die Knie des Unbekannten. Der machte sich daran, mit seinen langen empfindsamen Fingern das Fell des Hundes zu untersuchen. Endlich ließ er ein befriedigtes »Aha« hören und nahm dann eine anscheinend recht schmerzhafte Operation vor, denn Kaspar jaulte mehrmals auf. Trotzdem machte er keine Miene wegzulaufen. Plötzlich ließ ihn der Mann wieder frei.

»Da haben wir‘s«, meinte er lachend und hielt etwas in die Höhe. »Nun kannst du wieder springen, Hundchen.« Während sich der Hund davonmachte, erhob sich der Fremde, sagte mit einem Kopfnicken »Grüß Gott« und ging seines Wegs. Er entfernte sich so rasch, dass ich nicht einmal daran denken konnte, ihm für seine Bemühung etwas zu geben, geschweige denn mich bedankte. Mit der gleichen selbstverständlichen Bestimmtheit, mit der er aufgetaucht war, verschwand er wieder.

Zu Hause angelangt, musste ich noch immer an das seltsame Gehaben des Mannes denken und berichtete meiner alten Köchin von der Begegnung.

»Das war der Anton«, sagte sie. »Der hat ein Auge für solche Sachen.«

Ich fragte sie, was der Mann von Beruf sei und was er treibe, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Als sei meine Frage so erstaunlich, antwortete sie:

»Gar nichts. Einen Beruf? Was sollte er auch mit einem Beruf?«

»Na, schön und gut«, meinte ich, »aber schließlich muss doch jeder von irgend einer Beschäftigung leben?«

»Der Anton nicht«, sagte sie. »Dem gibt jeder von sich aus, was er nötig hat. Dem ist Geld ganz gleichgültig. Das braucht der gar nicht.«

Tatsächlich ein seltsamer Fall. In dieser kleinen Stadt, wie in jeder anderen kleinen Stadt auf der Welt, musste man jedes Stück Brot und jedes Glas Bier mit Geld bezahlen. Man musste sein Nachtquartier bezahlen und seine Kleidung. Wie brachte es dieser unscheinbare Mann in seinen abgerissenen Hosen fertig, ein so festgefügtes Gesetz zu umgehen und glücklich, frei von Sorgen dahinzuleben?

Ich beschloss, hinter das Geheimnis seines Tuns zu kommen und stellte dabei sehr bald fest, dass meine Köchin recht gehabt hatte. Dieser Anton hatte wirklich keine bestimmte Beschäftigung. Er begnügte sich damit, von früh bis Abend in der Stadt herumzuschlendern - scheinbar ziellos -‚ aber mit seinen wachen Augen be-obachtete er alles. So hielt er den Kutscher eines Wagens an und machte ihn darauf aufmerksam, dass sein Pferd schlecht angeschirrt sei. Oder er bemerkte, dass ein Pfosten in einem Zaun morsch geworden war. Dann rief er den Besitzer und riet ihm, den Zaun ausbessern zu lassen. Meistens übertrug man ihm dann die Arbeit, denn man wusste, dass er niemals aus Habgier Rat-schläge erteilte, sondern aus aufrichtiger Freundlichkeit.

An wie vieler Leute Arbeit habe ich ihn nicht Hand anlegen sehen! Einmal fand ich ihn in einem Schusterladen Schuhe ausbessern, ein andermal als Aushilfskellner bei einer Gesellschaft, wieder ein andermal führte er Kinder spazieren. Und ich entdeckte, dass alle Leute sich in Notfällen an Anton wandten. Ja, eines Tages sah ich ihn auf dem Markt unter den Marktweibern sitzen und Äpfel verkaufen und erfuhr, dass die Eigentümerin des Standes im Kindbett lag und ihn gebeten hatte, sie zu vertreten.

Es gibt sicher in allen Städten viele Leute, die jede Arbeit verrichten. Das Einzigartige bei Anton aber war, dass er sich, wie hart seine Arbeit auch war, immer ganz entschieden weigerte, mehr Geld anzunehmen, als er für einen Tag brauchte. Und wenn es ihm gerade gut ging, dann nahm er überhaupt keine Bezahlung an.

»Ich sehe Sie schon noch mal wieder«, sagte er, »wenn ich wirklich was brauchen sollte.«

Mir wurde bald klar, dass der merkwürdige kleine Mann, diensteifrig und zerlumpt wie er war, für sich selbst ein ganz neues Wirtschaftssystem erfunden hatte. Er rechnete auf die Anständigkeit seiner Mitmenschen. Anstatt Geld auf die Sparkasse zu legen, zog er es vor, sich bei seiner Umwelt ein Guthaben moralischer Verpflichtungen zu schaffen. Er hatte ein kleines Vermögen in sozusagen unsichtbaren Krediten angelegt. Und selbst den kaltherzigsten Menschen war es nicht möglich, sich dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber einem Manne zu entziehen, der ihnen seine Dienste wie eine freundliche Gunst erwies, ohne dafür jemals Bezahlung zu fordern.

Man brauchte Anton nur auf der Straße zu sehen, um zu erkennen, auf welche besondere Art man ihn schätzte. Alle Welt grüßte ihn herzlich, jedermann gab ihm die Hand. Der einfache freimütige Mann in seinem schäbigen Anzug wandelte durch die Stadt wie ein Grundeigentümer, der mit großzügigem und freundlichem Wesen seine Besitzungen überwacht. Alle Türen standen ihm offen, und er konnte sich an jedem Tisch niederlassen, alles stand zu seiner Verfügung. Nie habe ich so gut begriffen, welche Macht ein Mensch ausüben kann, der nicht für morgen sorgt, sondern einfach auf Gott vertraut.

Ich muss ehrlich gestehen, dass es mich zuerst ärgerte, wenn der Anton nach der Sache mit meinem Hunde mich nur im Vorbeigehen mit einem kleinen Kopfnicken grüßte, als wäre ich ein beliebiger Fremder für ihn. Offensichtlich wünschte er keinen Dank für seinen kleinen Dienst. Ich aber fühlte mich durch diese höfliche Unbefangenheit aus einer großen und freundschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Als nun eine Reparatur im Hause zu machen war - aus einer undichten Dachrinne tropfte Wasser -‚ veranlasste ich meine Köchin, Anton holen zu lassen.

»Den kann man nicht einfach holen. Er hält sich nie lange am gleichen Ort auf. Aber ich kann ihn benachrichtigen.« Das war ihre Antwort.

So erfuhr ich, dass dies sonderbare Menschenwesen gar kein Zuhause hatte. Trotzdem war nichts leichter als ihn zu erreichen, eine Art drahtlose Telegraphie schien ihn mit der ganzen Stadt zu verbinden. Man konnte dem ersten Besten, den man traf, sagen: »Ich könnte jetzt den Anton gut brauchen.« Die Bestellung lief dann von Mund zu Mund, bis ihn zufällig jemand traf. Tatsächlich kam er auch noch am selben Nachmittag zu mir. Er ließ seinen prüfenden Blick rundherum gehen, meinte beim Gang durch den Garten, dass hier eine Hecke gestutzt werden müsse und dort ein junger Baum das Umpflanzen nötig hätte. Endlich sah er sich die Dachrinne an und machte sich an die Arbeit.

Zwei Stunden später erklärte er, nun sei die Sache in Ordnung und ging weg - wieder bevor ich ihm danken konnte. Aber diesmal hatte ich wenigstens die Köchin beauftragt, ihn anständig zu bezahlen. So erkundigte ich mich, ob Anton zufrieden gewesen sei.

»Aber natürlich«, gab sie zur Antwort, »der ist immer zufrieden. Ich wollte ihm sechs Schilling geben, aber er nahm nur zwei. Damit käme er für heute und morgen gut aus. Aber, wenn der Herr Doktor vielleicht einen alten Mantel für ihn übrig hätte - meinte er.«

Ich kann nur schwer mein Vergnügen beschreiben, diesem Mann - übrigens dem ersten Menschen in meiner Bekanntschaft, der weniger nahm, als man ihm anbot - einen Wunsch erfüllen zu können. Ich rannte ihm nach.

»Anton, Anton,« rief ich den Abhang hinunter, »ich habe einen Mantel für dich!«

Wieder begegneten meine Augen seinem leuchtenden ruhigen Blick. Er war nicht im geringsten erstaunt, dass ich hinter ihm hergelaufen kam. Es war für ihn nur natürlich, dass ein Mensch, der einen überzähligen Mantel besaß, ihn einem andern schenkte, der ihn bitter nötig hatte.

Meine Köchin musste nun alle meine alten Sachen heraussuchen. Anton sah den Haufen durch, nahm sich dann einen Mantel heraus, probierte ihn an und sagte ganz ruhig: »Der hier wäre recht für mich!«

Er hatte das mit der Miene eines Herrn gesagt, der in einem Geschäft aus vorgelegten Waren seine Auswahl trifft. Dann warf er noch einen Blick auf die anderen Kleidungsstücke.

»Diese Schuhe könntest du dem Fritz in der Salsergasse schenken, der braucht nötig ein Paar! Und die Hemden da dem Joseph aus der Hauptstraße, die könnte er sich richten. Wenn‘s dir recht ist, bringe ich die Sachen für dich hin.«

Dies brachte er im hochherzigen Tone eines Menschen vor, der einem eine spontane Gunst erweist. Ich hatte das Gefühl, ihm dafür danken zu müssen, dass er meine Sachen an Leute verteilen wollte, die ich überhaupt nicht kannte. Er packte Schuhe und Hemden zusammen und fügte hinzu:

»Du bist wirklich ein anständiger Kerl, das alles so wegzuschenken!«

Und er verschwand.

Tatsächlich hat mir aber niemals eine lobende Kritik
über eins meiner Bücher so viel Freude gemacht wie dies schlichte Kompliment. Ich habe in späteren Jahren noch oft voll Dankbarkeit an Anton denken müssen, denn kaum jemand hat mir so viel moralische Hilfe geleistet. Häufig, wenn ich mich über kleine Geldscherereien aufregte, habe ich mich an diesen Mann erinnert, der ruhig und vertrauensvoll in den Tag hineinlebte, weil er nie mehr wollte, als was für einen Tag reichte. Immer führte mich das zu der gleichen Überlegung: Wenn alle Welt sich gegenseitig vertrauen würde, gäbe es keine Polizei, keine Gerichte, keine Gefängnisse und ... kein Geld. Wäre es nicht vielleicht besser um unser kompliziertes Wirtschaftsleben bestellt, wenn alle lebten wie dieser Mensch, der sich immer ganz und gar einsetzte und doch nur annahm, was er unbedingt brauchte?

Viele Jahre habe ich nichts mehr von Anton gehört.
Aber ich kann mir kaum jemand vorstellen, um den es einem weniger bange zu sein braucht: Er wird niemals von Gott verlassen werden und, was viel seltener ist, auch niemals von den Menschen.

Stefan Zweig

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Dreigliederung und Waldorfschule

Einer ihrer unvergesslichsten und wohl auch wirkungsvollsten Auftakte war der soziale Dreigliederungsvortrag, den Rudolf Steiner im sogenannten Tabaksaal der Waldorf-Fabrik für deren gesamte Belegschaft hielt.

Mit größter Spannung war gerade dieser Vortrag von allen aktiven Mitarbeitern der Dreigliederungs-Bewe-gung erwartet worden. Umso befremdender war es, dass der erste Teil von Rudolf Steiners Ausführungen von den Arbeitern mit deutlich spürbarer Zurückhaltung aufgenommen wurde. Ich weiß noch gut, wie mich selbst damals eine gewisse Enttäuschung beschleichen wollte. Aber dann kam von einer Seite, die man zunächst gar nicht ahnen konnte, der Durchbruch.

Rudolf Steiner ging, nachdem er präludierend einige andere große zeitgeschichtliche Motive angeschlagen hatte, dazu über, die seelische Grundstimmung des Proletariats zu schildern. Er deckte deren tieferen geistigen Untergrund auf, indem er sie als die unmittelbare Folge einer Katastrophe innerhalb der ganzen abendländischen Menschenbildung darstellte. Millionen junger Menschen - so führte Rudolf Steiner aus - werden alljährlich im Alter von etwa 14 Jahren aus dem eigentlichen menschlichen Bildungsprozess herausgerissen und in der einen oder anderen Form in das Wirtschaftsleben hineingestoßen. Sie werden in den meisten Ländern zwar noch weiter geschult - d. h. sie erhalten eine fachliche Ausbildung, für welche die notwendigsten theoretischen Grundkenntnisse übermittelt werden. Aber sie bekommen keine dieses Namens würdige Bildung mehr. Und eben dieses Bewusstsein der fehlenden, der abgeschnittenen Menschenbildung: Das ist es, was die Seelen der Proletarier bis tief ins Innerste verbittert; was sie in Aufstand bringt gegen die bestehenden Formen der Zivilisation. Hier ist ein immer in Tiefen des Menschentums schwelender Herd von Revolutionen.

„Sie alle, wie Sie hier sitzen - so etwa sagte Rudolf Steiner - vom 16-jährigen Lehrmädchen bis zu den 60-jährigen Arbeitern leiden darunter, dass die eigentliche Menschenbildung in Ihnen verschüttet wurde, weil es von einem bestimmten Augenblick an nur noch die harte Lebensschulung, aber keine wahre Schule mehr für Sie gab."

Diese Worte wurden mit einer solchen Wärme gesprochen, und sie kamen aus einem so tiefen Menschenverstehen, dass sie unmittelbar an die Herzen der Hörer rührten. Auf einmal stand nicht mehr der von Kommerzienrat Emil Molt eingeführte große Sozialphilosoph da, sondern ein Arzt, der mit klarem Blick, zugleich aber auch mit zart zutastender Hand eine Wunde aufdeckte, die er heilen wollte.

Alle Vorurteile, die sich zunächst den Worten Rudolf Steiners entgegengestemmt hatten, waren in wenigen Augenblicken wie von einer Zauberhand ausgelöscht. Wir alle, die anwesend waren, erlebten miteinander die lösende und zugleich aufrufende Macht einer durch einen Berufenen ausgesprochenen Wahrheit. Aus einer bloßen Zuhörerschaft wurde im besten Sinne eine Versammlung, innerhalb derer es sich zu regen begann. Was sich regte, war der Wille, nunmehr, in so ernstem Zeiten-Augenblick, dazu beizutragen, dass Menschenbildung nicht weiterhin verschüttet werde. Es eröffnete sich, inmitten eines Vortrages über die soziale Dreigliederung, der Ausblick auf eine ganz neue Schulart. Wenn ich daran denke, dass diese neue Form ohne den entschiedenen Willen der Arbeiterschaft nie zustande gekommen wäre, möchte ich diese Stunde als die eigentliche Geburtsstunde der Freien Waldorfschule bezeichnen.

An dieser Stelle muss ich nun besonders eines Mannes gedenken, der, ganz außerhalb der Waldorf-Astoria stehend, mit lebendigem Interesse auch an diesem Vortrag teilnahm. Es war dies E. A. Karl Stockmeyer, der wesentlich zum Entstehen der neuen Schule beigetragen hat. Karl Stockmeyer, damals noch als Lehrer an einer höheren Schule im Badischen tätig, war schon früh sowohl mit der Persönlichkeit als auch mit dem Gedankengut Rudolf Steiners vertraut geworden. In strenger Gedankendisziplin hatte er sich die Grundlagen und die Methodik der anthroposophischen Geisteswissenschaft erarbeitet. Ein starker, seiner Seele innewohnender Forscherdrang hatte ihn dazu geführt, die Geisteswissenschaft nicht nur konservativ zu tradieren, sondern einige ihrer Zweige, besonders aber den erkenntnistheoretisch-philosophischen weiter zu entwickeln. So zeichnete sich seine Persönlichkeit durch eine erfreuliche Unabhängigkeit aus und durch ein starkes Gegründetsein in sich selbst. Gerade dieses war der Menschentyp, den Rudolf Steiner unter seinen Schülern besonders schätzte.

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges - und beginnend wohl auch schon vorher - hatte sich Stockmeyer auf seine Art mit Reformplänen für das Schulwesen getragen. Emil Molt, der in den Gedanken Stockmeyers etwas fand, das sich mit seinen eigenen tieferen Intentionen berührte, hatte ihn aufgefordert, nach Stuttgart zu kommen und stand mit ihm in regem Gedankenaustausch. Letzterer bezog sich, wie aus der ganzen Lebenssituation wohl begreiflich ist, nicht nur auf das Pädagogische, sondern auf die soziale Dreigliederung
überhaupt, für die Stockmeyer ein ausgezeichnetes Verständnis hatte. So wurde er nicht nur zu einem wesentlichen Mitträger der Schulgründung; seine markante Persönlichkeit ist auch sonst nicht wegzudenken aus der so unermüdlich aktiven sozialen Planungsarbeit jener Tage.

Am 25. April 1919 kam es zu dem entscheidenden Urgespräch über die Gründung der Freien Waldorfschule. Es fand in vorgerückter Abendstunde statt. Rudolf Steiner war von einem großen Abendvortrag, den er vor der Arbeiterschaft der Daimlerwerke gehalten hatte, in das Haus Landhausstraße 70, das Stuttgarter Zweighaus der Anthroposophischen Gesellschaft, gekommen, wo er auch während seiner Aufenthalte in Stuttgart zu wohnen pflegte. Dort erwarteten ihn Emil Molt, Karl Stockmeyer und ich.

Die in dem nun folgenden Gespräch vonseiten Rudolf Steiners entwickelten Grundgedanken über die neue Schule wichen in vielem noch von dem ab, was später in die Konstitution der Freien Waldorfschule eingegangen ist. Und dennoch war das Ganze ein Quellen - Ge-spräch. Sowohl inhaltlich als auch nach seinem ganzen Stil. Denn Rudolf Steiner streifte bald die letzten Spuren der vorangegangenen ungeheuren Anstrengung ab. Im-mer strömender, immer frischer wurde das, was er uns zu sagen hatte. Und es bezog sich nicht nur auf den konkreten Plan der Schulgründung, sondern auf die Sozial- und Kulturpädagogik ganz im Großen.

Ich will in diesem Zusammenhang auf drei Motive hinweisen, die für mich ganz wesentlich dazugehören.

Ich fragte Rudolf Steiner u. a. danach, an welchem Punkte man heute anpacken müsse, um ein wirklich Soziales im Zusammenleben der Menschen zu veranlagen.

Obwohl die Frage in dieser Form doch nur sehr allgemein und vage gestellt war, ging er mit aller Bereitwilligkeit auf sie ein. Er sagte, man könne über ein so umfassendes Gebiet natürlich stundenlang sprechen. Andererseits wären die Dinge auch ganz einfach auszusprechen. Und nun knüpfte er an die Dreigliederung des Menschen an. Er wies noch einmal auf die verschiedenen Grade der Intensität hin, mit denen Denken, Fühlen und Wollen im menschlichen Bewusstsein wirken: nur das erstere hell wach, das zweite träumend, und das dritte - das Wollen - wie aus dem Tiefschlaf aufsteigend. Das helle und wache Denken, so führte Rudolf Steiner weiter aus, hat die gegenwärtige Form unserer Kultur erst möglich gemacht. Es hat den Menschen zum scharf umrissenen, zum deutlich betonten Erleben seiner Persönlichkeit gebracht. Es hat ihn individualisiert, aber auch entsozialisiert, d. h. aus den natürlichen sozialen Zusammenhängen herausgerissen. Unser gewöhnliches vorstellendes Denken, so unterstrich Rudolf Steiner, ist seiner Natur nach antisozial. „Sie können die gewaltigsten Kongresse abhalten - so sagte er - auf denen nur vom Sozialen und noch einmal vom Sozialen die Rede ist. Solange nur aus dem Kopfmäßig-Intellektuellen gesprochen wird, ist das Resultat solcher Kongresse für das Soziale gleich Null. Im Gegenteil, sie tragen nur noch mehr zur Zersplitterung des Sozialen bei."

Aus: Herbert Hahn, Wir erlebten Rudolf Steiner, 1967

 

 

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