jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Frühling 2004 - Nr. 630

Inhalt

Für eine gerechte und friedliche Welt
Der verbrecherische Anschlag in Madrid war die Antwort auf die Verbrechen, die sie in der Welt, insbesondere im Irak und in Afghanistan begangen haben.
Von Dieter Koschek


Was in der Welt vorgeht
Neben der City-Hall, der Stadtverwaltung von Amsterdam, befindet sich eine lange Reihe von Betonplatten, an denen große Luftaufnahmen von Gebieten und Objekten aus der ganzen Welt aufgebracht sind, die der französische Photograph Yann-Arthus-Bertrand aufgenommen hat. Dazu sind Begleittexte angebracht, von denen ich einiges nachfolgend mitteilen möchte.
Von Karl-Heinz Denzlinger


Brüderliches Wirtschaften erfordert bewusste Konsumenten
Der Kampf gegen die umweltzerstörenden und sozialfeindlichen Tätigkeiten der internationalen Konzerne erscheint als Sisyphusarbeit. Man schuftet um den Fels auf die Spitze des Berges zu bewegen, und ist man endlich oben, rollt er hinunter und man muss von vorne anfangen. Beispiel von Aktionen:
Schwarzbuch Markenfirmen
Das KonsumNetz
Greenpeace-Einkaufsratgeber "Essen ohne Gentechnik"
Projekt Mahlzeit ausgezeichnet
Saubere Kleidung

zusammengestellt von Dieter Koschek


Attackierende Gentechnik
Anfang Juli 2003 hatte das Europäische Parlament neue Bestimmungen zur Kennzeichnung von Lebensmittel erlassen. Jegliche Zutat, die mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Anteile enthält, muss nun kenntlich gemacht werden. So bekommt der Verbraucher selbst die Möglichkeit zu entscheiden, ob er in größerem Umfang Produkte der Gentechnik zu sich nehmen will.
Von Jürgen Kaminski


Tatort Hanau:
Kommissar Ehrlicher greift ein

Um den Export der Hanauer Nuklearfabrik nach China zu verhindern, startete die Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) eine außergewöhnliche Aktion: Sie will die Atomanlage selbst kaufen, um sie anschließend sicher zu entsorgen.
Von Angela Ücker


Voran zur Genossenschaft
Aus einem Beitrag von Siegfried Bauer 

Frühe griechische Genossenschaft
Ulrich Bernhardt über das thessalische Bergdorf Ambelakia

Phönix aus der Asche
Genossenschaft – das ist für viele ein Wort von gestern. Aber Totgesagte leben manchmal länger. Manchen Genossenschaften ist es gelungen, in einem schwierigen Umfeld sichere Arbeitplätze zu schaffen.
Von Annette Jensen


Marktwirtschaft tötet!
Zu den Hintergründen der sozialen Katastrophe in den Kaffeeanbaugebieten Nicaraguas Von Wolfgang Ecker / Christian Rummel


Nicht hinnehmen
Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy  beim Weltsozialforum 2003 in Porto Alegre, Brasilien.


Ein Dorf für Indien
Die Schönauer Bürgerinitiative „Aktion Dorfbau Indien – Eine Welt" hat sich  zum Ziel gesetzt, den Bau des Dorfes Chinna Venmani finanziell zu ermöglichen.
Von Andrea Seger


Hintergrund der Anschläge
Von Jürgen Kaminski


Für die eigene Gesundheit am besten Bio
Interview mit Dieter Koschek vom Bio-Restaurant Eulenspiegel am 20.1.2004. Die Fragen stellte Ingrid Feustel von der „Welle", Wangen.


Eulenspiegel-Nachrichten


Mit Unsicherheiten umgehen
Peter Schilinski über die Anfänge vom „Modell Wasserburg"


Ablenkende Aufklärung
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


Anthroposophie & Jedermensch
Soziales Tempelbauen
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

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Für eine gerechte und friedliche Welt

Der verbrecherische Anschlag in Madrid war die Antwort auf die Verbrechen, die sie in der Welt, insbesondere im Irak und in Afghanistan begangen haben. Bush, Blair und auch der spanische Ministerpräsident Aznar sind Verbündete beim völkerrechtwidrigen Angriff auf den Irak. Wer den Krieg gegen den Terrorismus weltweit ohne Rücksichten auf das Völkerrecht betreibt, die eigenen Verfassungen diesbezüglich verändert und dies in Zukunft intensiveren will, wie es die geplante europäische Verfassung zeigt, muß auch die Realität erkennen, dass sein Heimatland ebenfalls Frontverlauf ist. Die Wortwahl im ersten Satz stammt direkt aus der Bekennervideo der El-Kaida, aber auch ich habe das gedacht. Zwei Golfkriege mit einem verbrecherischen Embargo dazwischen kosteten vielen Zivilisten das Leben, aber die USA haben sie nicht einmal gezählt. Die offensichtlichen Lügen von Bush und Blair zeigen eigentlich nur die tatsächliche Machtfülle ihrer Militärkomplexe.

Doch das Verbrechen ist auch ziviler Art. Die Wirtschaftspolitik des Neoliberalismus zeigt die den Kriegen zugrunde liegende Ursache auf. Der Reichtum der industriellen Welt wird mit Maßnahmen gefördert, der in den Ländern des Südens Tote fordert. Und ich bin

überzeugt, dass dies die Verantwortlichen mit vollen Bewusstsein zur Kenntnis nehmen und manchmal auch einfach in Kauf nehmen. Die Verbrecher sitzen also auf beiden Seiten.

Frieden und Versöhnung sind nicht möglich, wenn der zivile Krieg, der Wirtschaftskrieg um unseren Wohl-stand zu retten einfach weiter geführt wird. Dann helfen keine friedensstiftenden Maßnahmen mehr, eher dienen diese nur der Kaschierung der ungerechten und verbrecherischen Weltwirtschaftsordnung. Und auch da ist die EU nicht auszunehmen. Subventionierung der eigenen Landwirtschaft verhindern florierende Landwirtschaften im Süden. Einfuhrzölle auf verarbeitete Produkte verhindern die Entstehung eigener Industrien im Süden. Begleitet wird diese Art der Armutsbewirtschaftung mit Krediten der Weltbank und des IWF, die durch den Schuldendienst die sozialen Errungenschaften in den Ländern des Südens zerstören. Wenn dann dazu noch die imperialistische Weltmachtpolitik der größten Militärmacht der Welt dazu kommt, die hemmungslos überall in der Welt militärisch zu eigenen Gunsten eingreift, dann braucht sich eigentlich keiner zu wundern, wenn sich in den betroffenen Ländern militärischer Widerstand bildet und diesen auch in die „friedlichen Ländern" der industrialisierten Zone trägt. Für mich ist es klar, das sich Europa und die USA neben anderen Staaten sich in einem Krieg befinden, nicht in einem Krieg gegen den Terror, sondern in einem Krieg zur Sicherung des eigenen Wohlstandes.

Wir, die Alternativen und Pazifisten in Europa lehnen Krieg in jeder Form ab. Auch wenn sich aus unseren Analysen die Berechtigung zum Widerstand ergibt, dann beinhaltet dieser keine Massaker und Angriffe gegenüber Zivilsten, aber auch nicht gegenüber Militärs. Der Beitrag der friedensliebenden Menschen kann nur gewaltfreier Widerstand sein – und der muss im eigenen Land anfangen. Dieser Gewaltfreien Widerstand kann sich in Demonstrationen wie jetzt in Spanien manifestieren, doch er muss über dem deutlichen Zeigen des Andersdenkens, der Aufklärung auch Konsequenzen im eigenen Handeln haben. Und hier bietet sich der eigene Konsum und die eigenen Arbeit an. Kritischer Konsum und Hinterfragen des eigenen Arbeitens (z.B. in kritischen Industrien) müssen Grundlage sein zum Aufbau von Alternativen zum Neoliberalismus, der ungerechten Weltwirtschafstordung.

Möglichkeiten dazu bieten sich überall. Ob es die Unterstützung durch Konsum und Engagement regionaler Wirtschaftskreisläufe sind, die Förderung ökologischer Landwirtschaft, ökologisch bewusster Konsum, oder politisches Engagement im lokalen gegen die Privatisierung öffentlicher Dienste wie z.B. die Wasserversorgung.

Doch politisches Engagement muss auch öffentlich werden, dazu bietet sich in der Zukunft einige Aktionstage der sozialen Bewegungen an.

Bereits am 20. März 2004 fand ein Aktionstag zum Jahrestags des Kriegsbeginns gegen den Irak statt. Eine meines Erachtens wichtige Initiative ist die geplante Durchführung eines Internationalen Tribunals über den Irak-Krieg, das „ausgräbt, säubert und dokumentiert, was wirklich im Zusammenhang mit dem Irakkrieg geschehen ist, um" – so Norman Paech – „wenigstens den irakischen Volk später die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Geschichte von den Umhüllungen der Propaganda und Verfälschungen zu befreien."

Am 3. April 2004 wird in Berlin, Köln und Stuttgart durch Demonstrationen aufgezeigt, dass eine andere Welt möglich ist.

Der Protest richtet sich in erster Linie gegen den Sozialabbau in Europa und speziell in Deutschland durch die Agenda 2010. Steigende Konkurrenz durch die Globalisierung führt nun auch in Europa zu einen Kampf um die Profite und dies führt – wie in den Ländern des Südens – zur Aufweichung sozialer Sicherungsstrukturen.

Gegend die Militarisierung der Europäischen Union richtet sich ein Aktionstag am 9. Mai 2004. In der geplanten Europäischen Verfassung wird die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" festgelegt, die Militäreinsätze außerhalb Europas und eine Aufrüstung vorsieht. Dies alles ohne das Europäische Parlament, das nur gehört und auf dem laufenden gehalten werden soll.

Dieter Koschek

Weiter Informationen im Internet

zum Irak-Krieg-Tribunal: www.irakmonitor.de/tribunal

zum Europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau: www.attac.de

zur Kampagne gegen die EU-Verfassung: www.imi-online.de

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Was in der Welt vorgeht

Neben der City-Hall, der Stadtverwaltung von Amsterdam, befindet sich eine lange Reihe von Betonplatten, an denen große Luftaufnahmen von Gebieten und Objekten aus der ganzen Welt aufgebracht sind, die der französische Photograph Yann-Arthus-Bertrand aufgenommen hat. Dazu sind Begleittexte angebracht, von denen ich einiges nachfolgend mitteilen möchte. (Die komplette Sammlung von Luftaufnahmen und Texten ist vom Verlag Thames und Hudson unter dem Titel "The Earth from the Air" in Buchform veröffentlicht. Es gibt auch eine gekürzte Ausgabe für Kinder. Die deutschsprachige Version kommt von "GEO" unter dem Titel "Die Erde von oben".)

Der Tourismus ist die führende Welt-Industrie. Im Jahr 2001 zählte man 690 Millionen Touristen. Der Umsatz betrug 476 Milliarden US-Dollar.

So erhöhte sich zum Beispiel durch den Bau des Guggenheim-Museums in Bilbao die jährliche Besucherzahl von 250 000 auf eine Million. Die Industrie-Produktion der baskischen Region hat sich in dieser Zeit verfünffacht.

20 Prozent der Weltbevölkerung sind ohne hygienisch einwandfreies, das heißt trinkbares Wasser. In Afrika trifft dies für zwei von fünf Einwohnern zu. Durch Infektionen infolge verunreinigten Wassers, die zu Durchfällen führen, sterben dort jährlich circa 2,2 Millionen Kinder unter 5 Jahren.

Demgegenüber werden in Europa pro Person und Tag 150 bis 200 Liter zum Trinken aufbereitetes Wasser verbraucht, davon allerdings nur 1 Prozent zum Trinken. Eine Toilettenspülung verbraucht durchschnittlich 6 Liter von solchem Wasser. Auch der Welthandel mit in Flaschen abgefüllten Getränken ist in stetigem Wachstum begriffen, zur Zeit zu 7 Prozent pro Jahr bei einem Gesamtumsatz von 22 Milliarden US-Dollar.

Ein großer Teil des Gesamtumsatzes beruht auf alkoholischen Getränken. Alkoholismus führt dazu, daß sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern in Russland auf 59 Jahre, gegenüber Frauen mit 72 Jahren, beläuft.

Überhaupt beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung in Kanada und Japan 80 Jahre, während in den "unterentwickelten" Ländern dreiviertel der Bevölkerung das 50. Lebensjahr nicht erreichen. Der Weltdurchschnitt beträgt 66 Jahre. In Afrika bekommt jede Frau im Durchschnitt 5,1 Kinder. Der Weltdurchschnitt beträgt 2,8 Kinder je Frau. Allerdings sterben in Afrika täglich 6000 Menschen an Aids, 11 000 werden dort täglich mit Aids neu infiziert.

40 Millionen Menschen verhungern jedes Jahr, obwohl die Welt-Getreide-Ernte 356 Kilogramm pro Kopf der Weltbevölkerung ausmacht, also ein Kilogramm pro Tag und Person. Allerdings ist die Welt-Fleisch-Produktion seit 1950 von 48 auf 238 Millionen Tonnen gestiegen, davon 40 Prozent Schwein, 26 Prozent Rind und 28 Prozent Geflügel. Um ein Kilogramm Großtierfleisch zu produzieren sind 7 Kilogramm Getreide erforderlich, bei Geflügel entsprechend 2 Kilogramm für ein Kilogramm Fleisch.

Auch der Output der Fischerei hat sich seit 1970 verdoppelt auf 126 Millionen Tonnen im Jahr 1999. Seit 1970 haben sich die Fischereiflotten der Welt versechsfacht. Elf der 15 Fischfanggebiete der Welt sind überfischt und liefern fallende Erträge.

Ein Argentinier konsumiert im Jahr durchschnittlich 65 Kilogramm Fleisch, ein US-Amerikaner 50 Kilogramm, ein Australier 42 Kilogramm, ein Filipino 7 Kilogramm, ein Chinese jetzt 4 Kilogramm, vor 5 Jahren waren es dort noch die Hälfte.

Von1985 bis 2000 starben 560 000 Menschen an Naturkatastrophen, die Hälfte durch Überschwemmungen, 15 Prozent durch Stürme, 30 Prozent durch Erdbeben.

22 000 Quadratkilometer Wald werden jährlich allein im Amazonas-Gebiet abgeholzt.

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Papier hat sich seit 1961 verdreifacht. 19 Prozent der Weltbevölkerung in Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan verbrauchen 63 Prozent der Weltpapierproduktion.

Ein Viertel der Säugetiere und ein Achtel der Vögel sind vom Aussterben bedroht. Im Jahr 2000 gibt es 45 000 Dämme über 15 Meter Höhe, gegenüber 5750 solcher Dämme im Jahr 1950. Die Hälfte davon befinden sich in China, wo derzeit 90 Dämme mit mehr als 60 Metern Höhe gebaut werden. Es wurden 40 bis 80 Millionen Menschen wegen Dammbauten "umgesiedelt".

Die Antarktis stellt mit 2000 Kubikkilometern Eis das größte Süßwasserreservoir der Erde dar, 90 Prozent der Eismassen und 70 Prozent der Süßwasserreserven der Erde befinden sich dort, wo zeitweise der Wind eine Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde erreicht und die Temperatur auf minus 70 Grad Celsius absinken kann.

Durch Regulierung seiner Zuflüsse Syrdarja und Amudarja verlor der Aral-See, der als das viertgrößte Süßwasserreservoir der Erde galt, von seinen 66 500 Quadratkilometern mehr als 50 Prozent an Fläche und 75 Prozent des Wassers, wodurch der Salzgehalt auf 30 Prozent anstieg und dort das Ende jeglicher Fischerei besiegelt war.

Am 26.12.1999 tobte über Europa der Sturm Lothar, dem in Frankreich 79 Menschenleben und 300 Millionen Bäume zum Opfer fielen.

In 32 Ländern befinden sich derzeit 433 Atom-Reaktoren, obwohl die Entsorgungsfrage bezüglich des radioaktiven Abfalls nicht gelöst ist.

Die Militärausgaben betrugen im Jahr 2000 798 Milliarden US-Dollar, dabei entfielen auf Westeuropa, die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und Australien 517 Milliarden US-Dollar. Die Entwicklungshilfe für die armen Länder betrug in diesem Jahr 53,7 Milliarden US-Dollar.

Seit 1950 gab es mehr als 50 Millionen Menschen, die infolge Krieg und Bürgerkrieg ihre Heimat verlassen mussten. So leben zum Beispiel 3,5 Millionen Afghanen in Iran oder Pakistan.

47 Prozent der Welt-Bevölkerung lebt zur Zeit in Städten, jede Woche kommt eine Million Zuzügler hinzu. In Tokio lebten 1950 6,4 Millionen Menschen, 2000 28 Millionen.

Sao Paolo hatte 1900 250 000 Einwohner, 2000 26 Millionen auf 8000 Quadratkilometern. 41 Prozent der Industrie-Produktion Brasiliens kommt aus dieser Stadt, die Hälfte der Gesamtproduktion des Landes. 20 Prozent der Bevölkerung leben dort in Slums.

Mexiko-City hat jetzt 20 Millionen Einwohner, die täglich 20 000 Tonnen Abfall produzieren. Allerdings produziert ein US-Amerikaner doppelt soviel Abfall als ein Mexikaner, nämlich 700 Kilogramm pro Jahr, während in den "Entwicklungsländern" durchschnittlich ein Viertel dieser Abfallmenge pro Tag und Bewohner erzeugt wird.

Diese zum Teil ja wirklich bedrohlichen Verhältnisse, deren Auflistung endlos fortgeführt werden könnte und in Amsterdam in eindrucksvollen Bildern dokumentiert sind, sind die Folge ungesunder gesellschaftlicher Strukturen, für die Rudolf Steiner seinerzeit die Lösungen formuliert hat in der sogenannten Dreigliederungs-Lehre. Dabei steht die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht in sogenannten Einheits-Staaten als Ursache ganz im Vordergrund. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts liefert eindrucksvolle Anschauungen darüber, dass es gleichgültig ist, welche Art von Eliten die Machtausübung dominieren. Es kommt darauf an, das uralte Modell der Konzentration von wirtschaftlicher, politischer und Definitionsmacht, das die Menschheit durch Jahrtausende begleitet und geleitet hat, durch Abgliederung der Wirtschaftskreisläufe vom Einfluss des Staates als Zentrum der politischen Macht herbeizuführen. Das muss aber so geschehen, dass ein großer Teil der Aufgaben, die bisher der Staat, zuletzt jedenfalls meist recht wenig erfolgreich und mit gewaltigen Nebenkosten zu erfüllen versuchte, mittels wirtschaftlichem Sachverstand in dazu neu zu schaffenden Einrichtungen, den Assoziationen erfüllt werden: den vernünftigen und gerechten Umgang mit den Ressourcen. Bisher hat man die ungeheure Leistungsfähigkeit der neuzeitlichen Produktionsverfahren mit den dazu ganz unzureichenden politischen Methoden der vorindustriellen Epoche zu beherrschen versucht. Die obigen Daten zeigen deutlich das Scheitern dieser Versuche und Bemühungen an. Solange die gewaltigen, aber sehr ungleich verteilten Ressourcen nach politischen oder gar weltanschaulichen Gesichtspunkten und Methoden verwaltet werden, ist es nahezu unerheblich, welche Gruppierung den gesellschaftlichen Prozess kontrolliert. Neue Einrichtungen müssen aus der Wirtschaft heraus kreiert werden von denen, die im Wirtschaftsleben tätig sind. Erst wenn die Abgliederung des Wirtschaftslebens vom Staat ihren Anfang nimmt, um dann sich immer stärker auszubreiten - vermöge sachgerecht technisch-fachlich und buchhalterisch arbeitender Gruppen, in denen sich die ökonomischen Verbindungen vom Staat, das heißt von politischer und weltanschaulicher Macht unabhängig organisiert darstellen -, bestehen Chancen dafür, dass sich im politischen System moralische Motivationen mit hinreichender Stoßkraft zur Geltung bringen können.

Karl-Heinz Denzlinger

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Brüderliches Wirtschaften erfordert bewusste Konsumenten

Der Kampf gegen die umweltzerstörenden und sozialfeindlichen Tätigkeiten der internationalen Konzerne erscheint als Sisyphusarbeit. Man schuftet um den Fels auf die Spitze des Berges zu bewegen, und ist man endlich oben, rollt er hinunter und man muss von vorne anfangen.

Die Änderung des Bodenrechts und der Eigentumsverhältnisse, als Basis um zu einem verantwortlichen Wirtschaften zu kommen, sind große Projekte, die einen langen Atem brauchen. Ebenfalls Tauschringe und Komplementärwährungen brauchen als politische Projekte viel Energie um den Warencharakter insbesondere des Geldes zu ändern.

Assoziationen im Wirtschaftsleben brauchen neben den Produzenten die Konsumenten als Partner. Diese Ebene ist meines Erachtens noch nicht ausgeprägt genug. Die Produzenten horchen sehr genau darauf, was die Konsumenten wünschen, beeinflussen aber die Wünsche auch selber. Ich habe aber die Assoziationen immer so verstanden, dass die Konsumenten die ersten Aktiven sind, die über ihre Bedürfnisse Bescheid wissen und dann den Auftrag geben, die jeweiligen Produkte zu produzieren. Das erste Glied in der Warenzirkulation ist der Verbraucher. Mir scheint es heute noch immer so zu sein, dass Waren aufgrund von Marktanalysen und ähnlichem hergestellt und dann den Verbrauchern angeboten werden. Was gut und bezahlbar ist, wird verkauft und was nicht, verschwindet wieder. Das ist eine ungeheure Verschwendung von Arbeit, Energien, Ressourcen und Geldern.

Mir ist es klar, dass der Weg so herum für die Verbraucher der einfachere ist, ich brauche nicht so viel darüber nachdenken, was ich brauche, sondern ich wähle aus einem riesigen Angebot dasjenige aus, was mir persönlich entspricht und habe dabei noch das Gefühl der persönlichen Freiheit, der Wahl zwischen unzähligen Produkten.

Jedoch beim Hausbau ist es schon so, dass der Bauherr zusammen mit einem Architekten das Haus nach seinen Wünschen plant und bauen lässt. Bei landwirtschaftlichen Produkten wähle ich zwischen der Ware aus dem anonymen Supermarkt und dem Biobauern aus der Region. Bei vielen Waren bleiben die Produzenten allerdings anonym.

Hier helfen verschiedene Organisation bei der Auswahl. An erster Stelle sind hier die Verbraucherzentralen zu nennen und Vereinigungen wie die Stiftung Warentest. Jedoch wer ökologische Kriterien, Sozialverträglichkeit sowie faire Standards im internationalen Handel sucht, tut sich hierbei schwerer, sind doch die Konzerne nicht bereit z.B. die Produktionsverhältnisse in Asien, Südamerika oder Afrika offen zulegen. Aber auch die Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Und doch entwickeln sich in letzter Zeit immer mehr verbraucherorientierte Kampagnen und Organisationen, die auch hier helfen.

Greenpeace-Einkaufsnetz, Verbraucherinitiative und attac-KonsumNetz sind hier als kritische Begleiter der Konsumenten zu nennen.

Wichtige Bücher auf diesem Weg sind „No logo" von Naomi Klein und „Schwarzbuch Markenfirmen" von Klaus Werner und Hans Weiss.

Dieter Koschek

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Schwarzbuch Markenfirmen

»Der politische Konsument ist ein schlafender Riese.
Dieses Buch zeigt, wie man ihn aufweckt.« Ulrich Beck

Das »Schwarzbuch Markenfirmen« verschafft Konsumenten erstmals eine Übersicht über die skrupellosen Machenschaften bekannter und beliebter Weltkonzerne

ISBN 3-216-30715-8, Deuticke Verlag, Wien 2003, 410 Seiten mit Abb..

Markenfirmen wie Adidas, Coca-Cola, McDonald's, Mercedes, Nestlé und Siemens setzen die Trends in der Konsumindustrie. Sie diktieren Modeströmungen genauso wie internationale Vereinbarungen. Ihre Konzernumsätze übertreffen die Wirtschaftskraft zahlreicher Länder. Ihr Einfluss ist teilweise größer als der von Regierungen und politischen Institutionen. Der Wert einer Marke - und damit die Macht der Konzerne - misst sich längst nicht mehr am gehandelten Produkt, sondern an dessen Image: Der Aspirin-Hersteller Bayer wirbt mit »Kompetenz und Verantwortung«, Shell rühmt sich für seine ökologische und soziale Vorreiterrolle und Nike sieht sich als »Corporate Citizen«, der liebevoll für die »weltweite Nike-Familie aus Sportlern, Konsumenten und jenen, die für uns arbeiten« sorgt. »Die für uns arbeiten«, das sind immer öfter Menschen aus den Billiglohnländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Ausbeutung, Zwangs- und Kinderarbeit sind dort an der Tagesordnung. Menschen und Lebensräume werden vergiftet, Regierungen erpresst, Krisen und bewaffnete Konflikte ungeniert ausgenützt oder sogar finanziert. Bekannte und beliebte Weltmarken tolerieren Folter, Sklaverei, unerlaubte Medikamentenversuche, Diskriminierung, Tierquälerei, Umweltzerstörung und die Verfolgung von Gewerkschaften und Kritikern.

Doch gleichzeitig setzen immer mehr Konsumenten auf ethische Mindeststandards. Sie wollen keine Produkte mehr kaufen, bei deren Herstellung Kinder ausgebeutet werden oder ganze Völker ihre Lebensgrundlagen verlieren. Das bringt aber auch Verunsicherung: Was kann ich überhaupt noch kaufen? Und vor allem: Wer sind die »Bösen« unter den Marken, mit denen ich im Alltag zu tun habe?

Dieses Buch ist der Versuch einer Antwort. Es kratzt am Image der erfolgreichsten Markenfirmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und deckt auf, welche von ihnen die größte Verantwortung für die Misere tragen. Es zeigt aber auch, welche Macht die Konsumenten haben, um die Konzerne zu einer Änderung ihrer Geschäftspraktiken zu zwingen.

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Das KonsumNetz

Das KonsumNetz bringt unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen zusammen, die sich mit dem Thema "Konsum & Konzerne" beschäftigen. Dabei

geht es z.B. um die globalen
wirtschaftlichen (z.B. "Macht der Konzerne"),
politischen (z.B. "Fairer Handel"),
sozialen (z.B. "Sweatshops"),
kulturellen (z.B. "No Logo") und
ökologischen (z.B. "Billig-Airlines")

Folgen des Konsums und was wir als VerbraucherInnen oder AktivistInnen der konzerngesteuerten Globalisierung entgegensetzen können.

Das Netzwerk dient zur Zeit primär dem Informationsaustausch untereinander. Hierfür steht die offene Liste des KonsumNetzes bereit. Ergänzt wird diese Liste durch einen wöchentlichen Newsletter mit aktuellen Berichten zu den oben genannten Themen sowie Hinweisen auf Online-Mitmach-Aktionen. Beiträge kannst Du entweder direkt über die Liste oder in einer Mail schicken, sodass sie im Newsletter gebündelt werden können.

Bei attac finden die individuellen Handlungsmöglichkeiten bisher nur am Rande Erwähnung. Dies soll hiermit geändert werden und sich dabei keinesfalls nur auf attac beschränken. Viele konzernkritische Gruppen sowie Buchautoren sind bereits im Netzwerk vertreten, zudem gibt es bereits Kontakte nach Österreich und in die Schweiz. Aktuell hat das KonsumNetz über 250 AbonnentInnen. In mehreren Städten, wie Göttingen, Münster, Berlin und Marburg gibt es Konsum-Arbeitskreise in den attac-Gruppen. Weitere Informationen gibt es im Internet unter http://www.attac.de/konsumnetz

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Greenpeace-Einkaufsratgeber "Essen ohne Gentechnik"


Gentechnik kann sich im Supermarkt nicht durchsetzen. Das ist das Ergebnis der bislang größten Umfrage zu Gentechnik unter Lebensmittelherstellern und Handelsunternehmen. Mit dem Greenpeace-Einkaufsratgeber "Essen ohne Gentechnik" finden Sie schnell heraus, welche der über 400 Firmen auf genmanipulierte Zutaten in ihren Produkten verzichten wollen und welche nicht.
Jetzt sind wir alle gefragt: Unsere Kaufentscheidung bestimmt, ob sich die Lebensmittel ohne Gentechnik dauerhaft im Supermarkt behaupten können. Mit Hilfe dieses Einkaufsratgebers können Sie Gentechnik in Ihrem Essen vermeiden und den Konzernen deutlich machen, dass diese Risikotechnik keine Chance hat. Hier erfahren Sie, wie die Lebensmittelhersteller es mit der Gentechnik halten.
Der Ratgeber ist auch das Ergebnis diverser Mitmachaktionen der EinkaufsNetz-Mitglieder. Ihre Protestschreiben haben dafür gesorgt, dass bereits im Sommer des letzten Jahres die große Mehrheit der Firmen erklärte, keine Zutaten aus genmanipulierten Pflanzen in Lebensmitteln einzusetzen. Doch nach wie vor werden die meisten Tiere, deren Produkte (Milch, Eier, Fleisch) auf unseren Tellern landen, mit Gentechnik gefüttert. Hier gibt's noch einiges zu tun.
Wir schicken Ihnen den Einkaufsratgeber auch kostenlos zu. Anruf oder E-Mail genügt.
Bestell-Telefonnummer: 040 - 306 180
E-Mail-Adresse: mail@greenpeace.de

18. Dezember 2003: Erfolg bei Metro
In einem Fax teilt das größte Handelsunternehmen in Deutschland dem Greenpeace-EinkaufsNetz mit, keine Zutaten aus gentechnisch veränderten Pflanzen in den Eigenmarken einzusetzen. Das ist ein großartiger Erfolg!
Noch drei Monate vorher lud der Konzern die Gentechnik-Industrie zu einem Gespräch, um eine große Pro-Gentechnik-Kampagne zu planen. Und Anfang Oktober argumentierte der Konzern für gentechnisch veränderte Lebensmittel: "Nur so hat der Kunde die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu entscheiden, welche Produkte er kaufen möchte." Nun ja, Umfragen bestätigen immer wieder, dass 70 Prozent der Verbraucher keine Gentechnik im Essen wollen - sie haben sich längst entschieden. Schön, dass das jetzt auch Metro begriffen hat.
Vier Monate Greenpeace-Kampagne gegen Metro, Tausende Protestkarten, Anrufe und E-Mails von den Mitgliedern des EinkaufsNetzes, 121 Aktivitäten von ehrenamtlichen Greenpeace-Gruppen in 43 Städten haben uns zum Jahresende diesen Erfolg beschert. Bei der Verwendung von gentechnisch verändertem Tierfutter will der Konzern jedoch auch weiterhin keine Zusage machen. Da bleiben wir dran. Weitere Informationen unter www.greenpeace.de/einkaufsnetz

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Projekt Mahlzeit ausgezeichnet

Berlin, 27. Februar 2004. Früchte, Gemüse und Viehfutter gelangen per Flugzeug und Schiff aus den entlegendsten Winkeln der Erde in hiesige Supermärkte. Oft reifen auf den fruchtbaren Böden in Entwicklungsländern Lebensmittel für den Export oder Futter, während der örtlichen Bevölkerung nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung steht. Mit dem Projekt Mahlzeit will „Brot für die Welt" Verbraucher und Küchenleiter zum Umdenken beim Einkauf ermuntern. Die VERBRAUCHER INITIATIVE zeichnet das Projekt daher als Initiative des Monats aus.

"Die sozialen und ökologischen Bedingungen, unter denen Lebensmittel hergestellt werden, sind ein wichtiger Bestandteil ihrer Qualität", erläutert Laura Groche, Ernährungsreferentin der VERBRAUCHER INITIATIVE. Mit vielfältigen Aktionen setzt sich das Projekt Mahlzeit dafür ein, Verbrauchern und Küchenleitern in Restaurants, Kantinen, Mensen diese Qualität nahe zu bringen. Denn die Entscheidung jedes Einzelnen am Supermarktregal bestimmt über die Art der Landwirtschaft und die Bedingungen unter denen Lebensmittel weltweit hergestellt werden.

Regional, saisonal, ökologisch und fair sind die Begriffe, die im Mittelpunkt des Projektes stehen: Produkte aus der Region kommen frisch bei den Verbrauchern an, haben einen geringeren Transportaufwand und vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt der heimischen Felder. Weil sie genügend Sonne mitnehmen können und in Ruhe reifen, schmecken Obst und Gemüse in ihrer jeweiligen Erntesaison am besten. Zudem entfällt der hohe Energieverbrauch für Gewächshaus, langen Transport und Lagerung. Ökologischer Anbau schützt Bauern und Umwelt gleichermaßen. Für die Bauern in so genannten Entwicklungsländern ist Bio-Landbau zudem eine Möglichkeit, ihre Felder nachhaltig zu bewirtschaften und auch in Zukunft noch von der Landwirtschaft leben zu können. Im fairen Handel erhalten die Erzeuger Einkommen, die die Produktionskosten decken und Investitionen in Altersvorsorge und Bildung ermöglichen.

Jeden Monat stellt die VERBRAUCHER INITIATIVE in ihrem Internet-Portal www.oeko-fair.de Initiativen und Kampagnen vor, die sich für fairen und umweltgerechten Handel und Konsum einsetzen.

www.Verbraucher.org

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Saubere Kleidung

Erstes Pilotprojekt in Deutschland mit Hess Natur gestartet

Hess Natur, der größte Naturtextil-Versandhändler Deutschlands, öffnet sich mit dem Pilotprojekt als erstes Unternehmen in Deutschland den Forderungen der Kampagne für 'Saubere' Kleidung (CCC). Diese beinhalten die Einführung eines Verhaltenskodex, der alle Sozialstandards der CCC enthält sowie einer unabhängigen Umsetzungskontrolle. Das Pilotprojekt ist der erste Schritt zur Erarbeitung eines kombinierten Modells, wie es die Kampagne für 'Saubere' Kleidung propagiert: Eines firmeninternen Monitorings und einer unabhängigen Verifizierung unter Beteiligung lokaler Akteure.

Nach einer eineinhalbjährigen Verhandlungsphase schlossen beide Parteien nun eine Vereinbarung, die den Arbeitsplan für das nächste Jahr vorgibt. Im Zentrum wird die Untersuchung ausgewählter Hess-Zulieferbetriebe in Deutschland sowie in Osteuropa stehen. Nach einer Hess-internen Bewertung sollen die Ergebnisse unabhängig verifiziert werden. Hierfür sollen sowohl gewerkschaftliche Strukturen als auch die holländische Fair Wear Foundation genutzt werden.

Hess Natur wird seine Zulieferbetriebe und deren Sublieferanten über die neuen Hess-Sozialstandards informieren und die Wichtigkeit der Umsetzung vermitteln. Über ein Fragebogensystem soll die Einhaltung durch Hess Natur evaluiert werden. Die Fragebögen werden danach von der CCC-Arbeitsgruppe ausgewertet. Parallel hierzu werden Informationen über die Arbeitsbedingungen in den Betrieben über die IG Metall sowie die Fair Wear Foundation abgefragt. Sollten die Informationen widersprüchlich zu den Ergebnissen aus den Fragebögen oder nicht ausreichend sein, wird die Fair Wear Foundation beauftragt, ein Firmenaudit durchzuführen. Im Falle von Arbeitsrechtsverletzungen wird ein Korrekturplan erstellt und die Umsetzung kontrolliert.

Im Rahmen des Projekts soll ein Kommunikationssystem eingerichtet werden, das es den ArbeitnehmerInnen der Zulieferfirmen ermöglicht, sich direkt und - wenn gewünscht - anonym an die Hess Natur-CCC-Arbeitsgruppe zu wenden, die das »Herzstück« des Projekts bilden wird.

Mittelfristig erwägt Hess Natur die Mitgliedschaft in der Fair Wear Foundation, die dann institutionalisiert die Verifizierung übernehmen könnte.

Die CCC sieht in diesem Projekt die Chance, der Realisierung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungsproduktion ein Stück näher zu kommen. Das A und O, so die Erfahrungen der CCC, ist ein transparentes System unabhängiger Kontrolle, an dem lokale Akteure institutionell beteiligt sind. »Zu-sammen mit Hess Natur können wir einen wichtigen Schritt vorwärts in diesem Prozess kommen!«

Für weitere Fragen:
Christliche Initiative Romero, Maik Pflaum,
Tel.: 0251-89 503, mobil: 0175-618 35 98
www.ci-romero.de

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Attackierende Gentechnik

Anfang Juli 2003 hatte das Europäische Parlament neue Bestimmungen zur Kennzeichnung von Lebensmittel erlassen. Jegliche Zutat, die mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Anteile enthält, muss nun kenntlich gemacht werden. So bekommt der Verbraucher selbst die Möglichkeit zu entscheiden, ob er in größerem Umfang Produkte der Gentechnik zu sich nehmen will.

Jetzt besteht tatsächlich der einzige Schutz vor den unbekannten Folgen drastisch veränderter Nahrung im Bewusstsein des Verbrauchers, also von uns allen.

Was weiterhin mit der Gentechnik noch bevorstehen kann, ja teilweise bereits praktiziert wird, lässt erschauern. Man sieht es einer Pflanze nicht an, was in sie hineingeschmuggelt wurde. Doch weiß man auch, dass Pflanzen ihre Erbinformationen, also auch diese künstlich hineingebrachten, verbreiten, dass ein Austausch geschieht zu ähnlichen Pflanzen in benachbarten Gebieten.

Dann ist es so, dass nicht mehr in Frieden biologisch auf einem Hof gewirtschaftet werden kann, wenn sich in der Nähe ein Betrieb dazu entschließt, bei seinem Anbau auf gentechnisch veränderte Pflanzen zu setzen. Letztere überziehen ähnliche Pflanzen mit ihren künstlichen Eigenschaften. In Amerika kam es sogar schon dazu, dass ein Saatkonzern einen Landwirt tributpflichtig machen wollte, weil dessen Pflanzen patentgeschützte Eigenschaften besitzen. Er hatte lediglich in der Nähe eines Gentechnik-Betriebes sein Feld bestellt.

Was mit der Gentechnik in einen Organismus künstlich hineingestückelt wird, ist etwas wesentlich anderes als bisherige Züchtung. Über Jahrtausende hinweg geschah eine gezielte Ausweitung von Pflanze und Tier hin zu einer den Menschen umgebenden Natur. Alle Apfelsorten sind mit der Apfelpflanze zusammen entwickelt worden und entsprechen ihr in vielerlei Aspekten. Die Pflanze entfaltet sich darinnen.

Demgegenüber geschieht mit der Gentechnik geradezu ein Angriff auf Pflanzen- und Tierwesen. Etwas Unpassendes wird hineingebracht und muss nun mitversorgt werden. Die Folgen können eine zunehmende Schwächung der Geschöpfe sein, die von ihrem Ursprung abgeschnitten werden. Das ist das Gegenteil von biologisch-dynamischen Anbauweisen, wo versucht wird, wieder einen näheren Bezug zu den kosmischen Quellen herzustellen. So sind wir alle betroffen von den sich jetzt abzeichnenden Wegen. Entweder eine schnell voranschreitende Verödung oder eine lebenskräftigende Erneuerung geschieht mit durch unsere jeweilige Entscheidung, dieses oder jenes zu unterstützen.

Jürgen Kaminski

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Tatort Hanau:
Kommissar Ehrlicher greift ein

Um den Export der Hanauer Nuklearfabrik nach China zu verhindern, startete die Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) eine außergewöhnliche Aktion: Sie will die Atomanlage selbst kaufen, um sie anschließend sicher zu entsorgen.

Seit 26.2.2004 ruft IPPNW Kritiker des Chinageschäfts dazu auf, sich per Internet zur Zahlung einer beliebigen Geldsumme zu verpflichten. Fällig wird das Geld nur dann, wenn der Kaufpreis auch zusammenkommt. Um China im Preiskampf auszustechen, sind mindestens 50 Millionen und 1 Euro notwendig. Dazu kommen noch einmal 20 Millionen für die sachgerechte Entsorgung. Bis Freitag, 12. März gab es schon über 5274 Beteiligungen mit 585.152 Euro Zeichnungen.

Zahlreiche Prominente und Politiker unterstützen die Aktion: So der Schauspieler und Hallenser Theaterintendant Peter Sodann - ("Tatort"-Kommissar Bruno Ehrlicher). Er will die "Doppelzüngigkeit der Regierung" nicht mitmachen: "In der DDR habe ich lange genug in einem System gelebt, in dem es zwei Wahrheiten gab". -, der Schriftsteller Erich Loest, der Liedermacher Konstantin Wecker, der Kabarettist Martin Buchholz, Professor Klaus Traube und das Comedy-Duo Badesalz, der Träger des Alternativen Nobelpreises Hermann Scheer, Winfried Nachtwei und Hans-Christian Ströbele (Grüne), Andrea Nahles (SPD) und die Chefin der BUND-Umweltschützer, Angelika Zahrnt. Auch Greenpeace macht mit." Informationen und Formulare für Kaufbeteiligungen gibt es im Internet und unter folgender Adresse:

Weitere Informationen:

Hanauselberkaufen c/o IPPNW
Körtestrasse 10, 10967 Berlin
Fon.:+49(0)30 - 698 074 - 0
www.hanauselberkaufen.de

Angela Ücker

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Voran zur Genossenschaft

Lange galt eine Genossenschaft als antiquiert. Als ein Auslaufmodell mit überkommenen Regeln und starren Grenzen. Doch seit die Euphorie über das Internet verschwunden ist, seit die Begeisterung über die Börse einer kolossalen Ernüchterung gewichen ist und seit das Geld für die Unternehmen mit der vermeintlich goldenen Zukunft nicht mehr auf der Straße, sondern in sicheren Bank-Tresoren liegt, hat sich diese Einstellung gewaltig geändert.

Und plötzlich wird aus der als anachronistisch verschrienen Überzeugung eine gefragte Idee, wie sich an der wieder steigenden Zahl der Neueintragungen von Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften ablesen lässt. Knapp 500 Neugründungen waren es zwischen 1993 und 2001; 20 bis 25 zählten die Registergerichte im vergangenen Jahr. Für eine Zeit, in der das Genossenschaftswesen über viele Jahre überwiegend nur durch Löschungen, Auflösungen oder Fusionen, besonders im Bankenbereich, von sich reden zu machen schien, eine bemerkenswerte Entwicklung.

„Wir haben eine Gesellschaftsform gesucht, von der alle ihren Nutzen haben, die Kosten für den Einzelnen so gering wie möglich sind, jeder ein Mitspracherecht hat, und die Stimme eines wirtschaftlich kleinen Mitglieds genauso gewichtig ist wie die eines starken Partners" begründet Holger Denu seine Entscheidung für die eingetragene Genossenschaft.

In Pfrondorf soll in den nächsten Wochen ein neuer Dorfladen eröffnet werden, der in der Form einer Genossenschaft von Bewohnern des Tübinger Stadtteils getragen wird. Dabei konnten sich die Pfrondorfer an guten Beispielen orientieren: in Jedesheim bei Illertissen oder in Bechtoldsweiler (Hechingen) laufen derartige Einrichtungen bereits.

Die Pfrondorfer wollen mit ihrem Laden nicht nur die örtliche Versorgung wieder herstellen, sondern auch Kaufkraft binden, die ansonsten auf die grüne Wiese gezogen wird. 360 000 Euro Umsatz soll der Laden machen, zehn Prozent dessen, was die Pfrondorfer pro Jahr für Lebensmittel ausgeben – ausreichend, um keine Verluste zu schreiben.

Aus einem Beitrag von Siegfried Bauer 

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Frühe griechische Genossenschaft

Aufgrund der klugen Erkenntnis, dass durch schädliche Konkurrenz viele Färberbetriebe im Ort unprofitabel arbeiten würden, hatten die einflussreichsten Großkaufleute 1780 beschlossen, eine völlig neue Form gesellschaftlichen Zusammenlebens einzuführen. Ihre Vorstellung von einer freien und gerechten Wirtschaft, die nach außen wie eine kapitalistische Handelskompanie auftritt, nach innen aber ein demokratisches Modell darstellt, nahm Gestalt an: die Koine Syntrophia, wie sich die Bruderschaft ab 1795 nannte, gab sich eine Verfassung, die vieles vorwegnahm, was Jahre später Revolutionäre und Reformer in ganz Europa forderten: das Recht auf Ausbildung, eine Altersrente, Kranken- und Armenfürsorge, die Teilhabe aller am erarbeiteten Mehrwert und die damit verbundene Mitbestimmung für alle.

Die Regeln der Teilhaber waren streng: Nur Bewohner von Ambelakia konnten Anteile zeichnen, und nur eigenes Kapital durfte verzinst werden. Der Überschuss aus den Geschäften wurde nach Abzug sämtlicher Investitionskosten und der Dividende für Soziales, Bildung und Kultur verwendet. So entstanden Kirchen, der Bischofspalast, eine Bibliothek und eine eigene Universität.

Zwischen 1786 und 1802 erlebte die Textilgenossenschaft ihre Blütezeit. Auf allen Märkten Europas war das begehrte türkische Garn aus Ambelakia zu finden.

Ulrich Bernhardt über das thessalische Bergdorf Ambelakia

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Phönix aus der Asche

Genossenschaft – das ist für viele ein Wort von gestern. Aber Totgesagte leben manchmal länger. Manchen Genossenschaften ist es gelungen, in einem schwierigen Umfeld sichere Arbeitplätze zu schaffen.

Wenn Cordula Krause mit anderen Geschäftsführern aus ihrer Branche zusammensitzt, und sich die Klagen anhört, dass wieder einmal Geld in der Kasse fehlt oder Material verschwunden ist, dann ist sie mächtig stolz auf sich: "So was kommt bei uns nicht vor" sagt die 42-jährige Leiterin der Friseurgenossenschaft Pasewalk. Null Fluktuation hat sie unter den 30 Mitgliedern in den vergangenen Jahren verzeichnet; nur bei den Angestellten gibt es ab und zu einen Wechsel. Kürzlich ist sogar ein Konkurrent am Feierabend einigen der fähigsten Kolleginnen nachgestiegen, um ihnen ein attraktives Angebot zu unterbreiten. Doch alle sind an Bord geblieben.
Dabei sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwierig. Die Zahl der Einwohner Pasewalks und damit der potenziell zu bearbeitenden Köpfe sinkt seit Jahren. Und wer einen schmalen Geldbeutel hat – und das sind viele in Mecklenburg-Vorpommern – der spart auch beim Haare schneiden, wo er kann. Trotzdem ist es der Friseurgenossenschaft gelungen, den Umsatz seit Mitte der 90er Jahre um ein Drittel zu steigern und die Kundenzahl zu halten. Wie macht man das? "Als traditionelles Unternehmen sind wir ein wichtiger Anlaufpunkt für die Leute", meint Krause, "unsere Salons sind nicht nur Geldverdieninstitute." Vielleicht, mutmaßt sie, sei es ja auch die "solidarische Atmosphäre", die die Leute anziehe. Schließlich gehört das Unternehmen allen gemeinsam.

Natürlich muss aber zuallererst die Qualität stimmen. Oft fahren die Pasewalker Genossenschaftsmitglieder am Wochenende zur Fortbildung, wo sie Trendhaarschnitte und die neusten Färbetechniken studieren – und machen sich anschließend einen netten Abend. Die Genossinnen zahlen sich Tariflöhne – dazu eine Erfolgszulage. Als allerdings vor kurzem eine Angestellte die Stunden für die Fortbildung vergütet haben wollte, gab es dafür wenig Verständnis.
"Auf so eine Idee kämen unsere Mitglieder nie", sagt Krause. Die Genossenschaft hat der Frau gekündigt. Als die DDR am Ende war, gehörten 2 700 "Produktionsgenossenschaften des Handwerks", so genannte PGHs, zum Erbe der Planwirtschaft. Nur 20 Prozent der Belegschaften entschieden sich damals, weiter als Genossenschaft zu arbeiten. Vor allem die westlichen Berater rieten damals von der Rechtsform ab. Dabei haben sich die Genossenschaften im Nachhinein als relativ robust erwiesen.

Die Bau-Möbel-Tischlerei eG Anklam hat heute acht Mitglieder. Nach der Pleite des Vorgängerbetriebs schloss sich eine Gruppe junger Kollegen zusammen und entschied sich für eine Genossenschaft:
"Ein Teil von dem hier gehört mir. Kein großer Chef profitiert davon, wenn ich arbeite", begründet Torsten Rauchmann, der gerade in der Werkstatt steht und die künftigen Fensterbänke einer Kaserne durch eine Maschine schiebt, seine Entscheidung. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er beschlossen, dass er die Meisterprüfung machen wird. Freitagnachmittag fällt er nun regelmäßig im Betrieb aus; die Ausbildungsstunden am Samstag gehen von seiner Freizeit ab. Persönlich wird er vom Meisterbrief nicht profitieren. "Jeder bei uns verdient das Gleiche; nur die Älteren bekommen ein paar Cent mehr pro Arbeitsstunde", erklärt Jeanette Schmechel, die Vorstandsvorsitzende.
Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Als im vergangenen Sommer die Anfrage kam, eine Pension auszubauen – und zwar schnell – da haben sich alle Genossen zusammengesetzt und beschlossen, dass sie zwei Monate lang jeden Tag einige Stunden länger arbeiten würden. "Wenn ich angestellt wäre, würde ich bis vier arbeiten und mich danach nicht mehr weiter mit der Sache beschäftigen", beschreibt Rauchmann den Unterschied. Schwierig werden kollektive Entscheidungsstrukturen allerdings in Zeiten von Auftragsflauten, weiß Schmechel. "Davor habe ich Angst", gesteht sie. Denn wie könnte ein für den Betrieb überlebensnotwendiger Personalabbau stattfinden ohne die Grundlage des eigenen Unternehmens zu gefährden?

Obwohl es in ganz Deutschland etwa 9 000 eingetragene Genossenschaften mit 20 Millionen Mitgliedern gibt – überwiegend große Wohnungsgenossenschaften, Volks- und Raiffeisenbanken – ist die Unternehmensform vielen Menschen kaum bekannt.
Und wenn sie etwas damit verbinden, dann sind es häufig Skandale wie bei der "Neuen Heimat" und "Coop". Auch die Skepsis vieler Gewerkschafter rühre daher, meint Udo Blum, der auch nach seiner Pensionierung weiter als Innovationsberater für die IG-Metall tätig ist. "Früher wurden Gewerkschaftsfunktionäre häufig in die großen Genossenschaften weggelobt, auch wenn ihnen oft die Fachkompetenz fehlte," so sein Urteil. Doch Blum, seit Jahrzehnten IG-Metaller, ist fest davon überzeugt, dass Genossenschaften eine zukunftsfähige Unternehmensform darstellen können. Ihre Grundlagen sind Selbsthilfe und Eigenorganisation. Sie vertrauen nicht auf den Kapitalzufluss eines Investors – was in armen Regionen eine ohnehin vergebliche Hoffnung darstellt. Sowohl das Unternehmen als auch die Kunden sind vor Ort, so dass ein direkter Informationsfluss darüber möglich ist, was gebraucht und gewünscht wird.

"Dadurch hat der Betrieb einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konzernen, die für einen anonymen Markt produzieren," beschreibt Blum die Situation. Gerade in strukturschwachen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit sieht er hierin eine Chance, die mehr verspricht, als eine subventionierte, kapitalintensive Wirtschaftsweise.

Es gibt Erfolgsgeschichten – auch im Westen
Ein sehr erfolgreiches Beispiel genossenschaftlicher Organisation in Westdeutschland ist die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg in Trier. Sie verfolgte zunächst das Ziel, den Bewohnern mehrerer Häuser in einem "sozialen Brennpunkt" lebenslanges Wohnrecht und bezahlbaren Wohnraum in Häusern zu ermöglichen, bei deren Sanierung sie geholfen hatten. Nachdem mehrere langzeitarbeitslose Bewohner zunächst im Rahmen von Qualifizierungsprojekten in die Sanierung mit einbezogen wurden, gründete die Genossenschaft ab 1993 zwei Betriebe, in denen einige dauerhaft eine Stelle fanden. Sowohl der Handwerksbetrieb, der von einem erfahrenen Meister geleitet wird, als auch ein wohnungswirtschaftliches Service-Unternehmen agieren auf dem freien Markt. Die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg hat bis heute insgesamt 65 feste Stellen und neun Ausbildungsplätze geschaffen.

Auch der DGB Berlin-Brandenburg hat die Genossenschaften inzwischen für sich entdeckt. Vor rund zwei Jahren gründete er einen Arbeitskreis, der sich mit dem Thema auch unter Beschäftigungsaspekten befasst. Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS hat DGB- Landeschef Dieter Scholz dann Druck gemacht, dass die Förderung von Genossenschaften explizit in den Koalitionsvertrag der Bundeshauptstadt aufgenommen wurde. Ähnlich wie in Trier könnten auch hier Liegenschaften und Immobilien des Landes, die am Markt nicht zu verkaufen sind, von Genossenschaften in Stand gesetzt und später genutzt werden.

Dass die Schaffung von sicheren Dauerarbeitsplätzen in einer Genossenschaft kein einfaches Unterfangen ist, haben die beiden Vorstände der Berliner Stadtteilgenossenschaft Wedding, Thomas Müller und Willy Achter, erfahren müssen. Schon lange existierte in dem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Stadtteil der Wunsch, ein soziales Unternehmen zu gründen, das auf Dauer ohne öffentliche Subventionen auskam und die Nachbarschaft mit sozialen und handwerklichen Dienstleistungen versorgte. Ursprünglich sollten die Teilnehmer einer vom Arbeitsamt geförderten Maßnahme für Langzeitarbeitslose die Stammbelegschaft werden. Doch schnell stellte sich heraus, dass der Betrieb so keine Überlebenschance hätte."Aufträge waren nicht das Problem – aber wir konnten am Markt nicht standhalten", so Willy Achter. Vor allem bei den personenbezogenen Dienstleistungen mangelte es an einer qualifizierten Fachkraft, und die Beschäftigten fühlten sich schnell überfordert; die Folge war unter anderem ein hoher Krankenstand. Hinzu kam die Konkurrenz durch ABM-Maßnahmen.
Im Maler- und Elektrotechnikbereich hatte die Genossenschaft zwar nacheinander mehrere Meister angestellt. Doch auch hier reichte die Qualifizierung der übrigen Belegschaft nicht aus, um kostendeckend zu arbeiten. Als die Insolvenz drohte, beschlossen die Genossen mehrheitlich, den Betrieb fortzuführen – aber mit gut ausgebildetem Personal. "Die Entlassungen waren wegen der Doppelrolle der Betroffenen als Unternehmer und Arbeitnehmer sehr konfliktreich", berichtet Willy Achter.
Inzwischen arbeitet die Stadtteilgenossenschaft Wedding profitabel und hat vier Vollzeitstellen neu geschaffen. Die Beschäftigten kommen allerdings überwiegend nicht aus dem Wedding. Immer mehr Unternehmen aus der Nachbarschaft sind Mitglieder der Genossenschaft geworden. Sie versorgen sich gegenseitig zunehmend mit Aufträgen, und bemühen sich gelegentlich gemeinsam um Großaufträge. "Das stabilisiert immerhin auch Arbeitsplätze hier im Wedding" fasst Thomas Müller die Strategie zusammen. Außerdem, berichtet er, habe sich die Mentalität geändert: "Die erste Frage ist nun nicht mehr, wo es Fördergelder gibt."

Annette Jensen

In: Genossenschaftliche Informationen 2-4/2003

Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V.. Wernerstraße 24
42653 Solingen Tel. 0212–38 37 555 - Fax 38 37 556

www.genossenschaftsgedanke.de

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Marktwirtschaft tötet!

Zu den Hintergründen der sozialen Katastrophe in den Kaffeeanbaugebieten Nicaraguas

Anfang August 2003 marschierten rund 5.000 arbeitslos gewordene LandarbeiterInnen vom nordnicaraguanischen Matagalpa in die 130 km entfernte Hauptstadt Managua. Ziel der Aktion war es, auf die katastrophale soziale Situation der LandarbeiterInnen in den Kaffeeanbauregionen aufmerksam zu machen sowie von der Regierung die Einhaltung bereits vor einem Jahr getroffener Zusagen einzufordern. Allein während des Demonstrationszuges starben nach Angaben des nicaraguanischen Menschenrechtzentrums CENIDH 14 Menschen an Unterernährung.
Diese Demonstration ist der momentan sichtbarste Ausdruck der Hungersnot, die bereits seit mehreren Jahren in den nicaraguanischen Kaffeeanbaugebieten herrscht. (Von einer ähnlich katastrophalen Situation wird auch aus den Kaffeeanbaugebieten El Salvadors und Guatemalas berichtet.) Schon im August 2002 verhungerten in der Region mindestens acht Menschen, seither hat sich die Situation nicht verbessert. Im Gegenteil, 45% der Kinder von LandarbeiterInnen in Nicaragua gelten laut UNICEF mittlerweile als chronisch unterernährt, Gesundheitsexperten diagnostizieren immer häufiger die Mangelernährungskrankheit Kwashiorkor.

Der Verfall der Kaffeepreise

Auslöser der sozialen Krise war unbestritten der zum Teil dramatische Fall der Preise für Rohkaffee. Wurden 1999 noch 1,44 US-Dollar pro Pfund bezahlt, so liegt der Preis heute bei 51 Cents und damit oftmals auch unterhalb der Produktionskosten der Fincas. Dieser Preisverfall hatte unmittelbar zur Folge, dass entweder völlig auf die Aberntung des Kaffees verzichtet wurde und/oder viele FincabesitzerInnen in finanzielle Schwierigkeiten kamen. Leidtragende waren und sind zuallererst die landlosen ArbeiterInnen auf den Fincas, die als ErntehelferInnen ihr Einkommen zu sichern versuchen. Zehntausende verloren mit der Kaffeekrise ihre Jobs – und oftmals damit verbunden, ihre Duldung auf den Kaffeefincas.
Um jedoch zu erklären, wie aus einer „Kaffee-Krise" eine „Hunger-Krise" werden konnte (und dies in einem Land, in dem unter Umständen zwei Getreide- und Gemüse-Ernten pro Jahr möglich sind und das früher als „Kornkammer Zentralamerikas" bezeichnet wurde), dazu reicht der Verweis auf fallende Rohstoffpreise nicht aus. Die strukturellen Ursachen liegen tiefer – in den seit 1990 unter internationaler Ägide vorangetriebenen marktwirtschaftlich orientierten Veränderungen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, vor allem in der Rückgängigmachung der sandinistischen Landreform und der Zerschlagung der öffentlichen Grundversorgung.
 

Strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft

Unter anderem mit der Zielsetzung, die Versorgungssituation von LandarbeiterInnen und KleinbäuerInnen zu verbessern, führte die linksgerichtete Regierung der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN Anfang der 80er Jahre eine umfangreiche Landreform durch. 2,5 Millionen manzanas (eine manzana entspricht etwa 0.7 Hektar), rund 30% der zur Zeit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Nicaraguas, wurden an Landlose und KleinproduzentInnen übertragen. Begleitet wurde diese Maßnahme von der Vergabe billiger Kredite, Schulungsprogrammen und der Garantie der Ernteabnahme durch das Staatsunternehmen ENABAS.
Seit dem Regierungswechsel 1990 und der damit einhergegangenen Durchsetzung ausschließlich marktwirtschaftlicher Kriterien auch im Landwirtschaftssektor gibt es einen „roll-back" in der Eigentumsverteilung. Bedingt durch das Fehlen von Krediten oder anderen staatlichen Hilfen einerseits, durch die Öffnung des Marktes für hochproduktiv und hochsubventioniert angebaute Produkte aus dem „Norden" andererseits, wurden viele KleinproduzentInnen zur Aufgabe ihrer Fincas gezwungen. Die nicaraguanische Vereinigung der BäuerInnen und ViehzüchterInnen (UNAG) geht in einer Untersuchung davon aus, dass im Jahr 2000 bereits rund 60% des während der Landreform verteilten Landes verkauft werden musste – in der Regel an AlteigentümerInnen oder Mitglieder der „neuen" nationalen Oberschicht.
Aufgrund dieser Prozesse hat sich die Sozialstruktur in den ländlichen Regionen in den vergangenen 15 Jahren dramatisch verändert. Besaßen in den 80er Jahren die KleinproduzentInnen (mit einer Anbaufläche von weniger als 50 manzanas) rund 80% der landwirtschaftlichen Nutzfläche, so ist dieser Anteil Ende der 90er Jahre auf unter 25% gesunken. Für tausende von Familien bedeutete die Aufgabe ihrer Finca das Ende einer zumindest notdürftigen Existenzsicherung. Als einzige Einkommensalternative bot sich in den ländlichen Gebieten die (Saison-)Arbeit in den großen Fincas an, in Nordnicaragua zumeist im Kaffeeanbau. Bis zu 200.000 ArbeiterInnen waren in der Kaffee-Ernte beschäftigt, aber auch diese schlechte Überlebensmöglichkeit gibt es seit zwei Jahren für viele nicht mehr.
Dabei hat die Tatsache, dass sich großflächiger Anbau (und damit auch die Arbeitsmöglichkeiten) auf wenige Exportprodukte beschränken vor allem zweierlei Ursachen. Einerseits entspricht die Förderung einer Produktion, die nur externe Bedürfnisse befriedigt, nicht nur den Vorgaben der dominanten, kapitalistischen Wirtschaftstheorie, sondern auch dem „kolonialen Erbe", d.h. einer seit Jahrhunderten gewachsenen strukturellen Abhängigkeit von den industriell entwickelten Staaten Europas und Nordamerikas.
Andererseits ging – wie bereits erwähnt – mit der Öffnung des nationalen Marktes für landwirtschaftliche Produkte aus dem „Norden" der wirtschaftliche Abstieg vieler ProduzentInnen im Bereich des Anbaus von Grundnahrungsmitteln einher. Obgleich  also durchaus zu bezweifeln ist, dass unter den herrschenden marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem großflächigen, über die Eigenversorgung der ProduzentInnen hinausgehenden Anbau von Grundnahrungsmitteln eine Perspektive in Nicaragua zu sehen ist, erscheint es angesichts der Hungertoten trotzdem zynisch, dass dort zur Zeit etwa genauso viel Anbaufläche für Kaffee genutzt wird wie für Bohnen und Reis, zwei der drei wichtigsten Grundnahrungsmittel, zusammen. Je nach Quelle wird davon ausgegangen, dass auf 130.000 und 150.000 manzanas Kaffee angebaut wird. Demgegenüber berichtet das nicaraguanische Landwirtschaftsministerium, dass 2003 Bohnen auf rund 77.000 manzanas, Reis auf knapp 82.000 manzanas geerntet werden.

Fehlende soziale Sicherung
Hinzu kommt, dass in Nicaragua die jetzt von Arbeitslosigkeit betroffenen LandarbeiterInnen mit nahezu keiner staatlichen Unterstützung rechnen können. Auch die medizinische Versorgung ist nach den Strukturveränderungen in den 90er Jahren zur Ware und damit für die Betroffenen nicht mehr verfügbar bzw. leistbar geworden – beispielsweise gibt es im nordnicaraguanischen Bezirk Tuma-La Dalia, einem der Zentren des Kaffeeanbaus, gerade noch acht Ärzte für die 70.000 EinwohnerInnen. Anstelle den vom Hungertod Bedrohten auch unmittelbar mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung zu helfen, beschränken sich die Behörden auf zynische Kommentare. So forderte beispielsweise der nicaraguanische Gesundheitsminister Mariangeles Arguello die BewohnerInnen Managuas auf, den in der Hauptstadt protestierenden KaffeearbeiterInnen keine Lebensmittel zukommen zu lassen, da diese „sich dadurch zum Bleiben ermuntert" fühlen könnten.
Vorhandene Mittel kommen den Betroffenen nicht zu Gute. So wurde beispielsweise unter der konservativen Chamorro-Regierung Anfang der 90er Jahre ein Fonds eingerichtet, in den die KaffeeproduzentInnen einbezahlt hatten. Im Falle von Preisstürzen sollte dieser ausgezahlt werden. Von der liberalen Nachfolgeregierung wurden jedoch diese Einlagen zu Sicherheiten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erklärt. Auch von den 25 Mio. Dollar taiwanesischer Hilfsgelder, die 2001 zur Unterstützung der KaffeeproduzentInnen ins Land geflossen sind, landeten lediglich zwei Millionen bei den Betroffenen, die restlichen 23 Mio. flossen direkt zur Begleichung des Schuldendienstes an die Banken.

Internationale Verantwortlichkeit

Aber nicht nur – wie im obigen Beispiel – indirekt, sondern auch unmittelbar muss internationalen Organisationen ein großer Teil der Verantwortung für die soziale Katastrophe zugeschrieben werden. Vor allem der strukturelle Wandel, dem die nicaraguanische Gesellschaft in den 90er Jahren unterworfen wurde, trug die Handschrift des IWF, der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Die hohen Auslandsschulden Nicaraguas nahmen diese als Druckmittel, um nicht weniger als drei Strukturanpassungsprogramme in dem Land durchzusetzen. Nahezu alle wirtschafts- und sozialpolitischen Ursachen der gegenwärtigen Hungerkrise finden sich in den durchgesetzten Auflagen des IWFs wieder: in den 90er Jahren Abbau von Subventionen, Zerschlagung des Staatssektors in der Produktion, Auflösung von ENABAS, Privatisierung des mittlerweile kollabierten Bankenwesens und damit des Kreditwesens, Öffnung der Kapital- und Warenmärkte; aktuell wird das dritte Anpassungsprogramm vollzogen, das vor allem auf die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen abzielt. Dass diese Maßnahmen zumeist in Interessensgemeinschaft mit großen Teilen der nicaraguanischen Oberschicht umgesetzt wurden, ändert an der Tatsache nichts, dass die zunehmende soziale Marginalisierung großer Teile der nicaraguanischen Bevölkerung ursächlich mit den Strukturanpassungsprogrammen verknüpft ist.

Zynischerweise hat sich der Inhalt der IWF-Strukturanpassungsprogramme in den vergangenen Jahren nicht geändert, wohl aber ihre Namen: Die Programme heißen jetzt „Maßnahmen zur Verringerung von Armut und zur Wachstumsförderung".

Nicaragua ist nur ein Beispiel

Während in Nicaragua zur Zeit die Toten einer marktwirtschaftlich orientierten Landwirtschaft zu beklagen sind, finden die gleichen Rezepte in anderen Ländern und Regionen unvermindert Anwendung – mit durchaus bekannten Folgen. Allein in Mexico wird damit gerechnet, dass mit Inkrafttreten der letzten Abkommen zur Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) über die Öffnung der Märkte für landwirtschaftliche Produkte, mittelfristig rund 3 Millionen BäuerInnen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden. Wie diese Menschen in Zukunft überleben sollen, weiß niemand. Sicher ist jedoch, dass ihnen seitens der politischen und wirtschaftlichen Eliten nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden wird als zur Zeit den nicaraguanischen KaffeearbeiterInnen. Wirtschaftlich interessant bleiben diese Menschen nur, solange sie gleichermaßen als ausbeutbare ProduzentInnen wie als zahlungsfähige KonsumentInnen auftreten. Eine andere Form der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse als im Rahmen der freien Marktes ist nicht vorgesehen. Wie das Beispiel Nicaraguas zeigt, heißt dies nicht weniger, als vielen Menschen die Überlebensgrundlage zu rauben – Marktwirtschaft tötet!

In: Info-Blatt 61  des Ökumenischen Büros. München , November 2003. www.oeko-buero.de

Wolfgang Ecker / Christian Rummel
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Nicht hinnehmen

Indien, die größte Demokratie der Welt, steht gegenwärtig ganz oben auf der Liste der Globalisierer. Indische Regierung und Eliten heißen Privatisierung und ausländische Unternehmen willkommen. Es ist kein Zufall, dass der Premierminister, der Innenminister, der Minister für Kapitalflucht – jene Männer, die das Geschäft mit Enron unterzeichnet haben, die die Infrastruktur des Landes an ausländische Multis verkaufen, jene Männer, die Wasser, Strom, Erdöl, Kohle, Gesundheits- und Bildungswesen und Telekommunikation privatisieren wollen – durchweg Mitglieder oder Sympathisanten des RRS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) sind, einer rechtsextremen Gruppierung, deren Anhänger als Bewunderer Hitlers und seiner Methoden auftreten.

Die Demontage der Demokratie wird mit dem Tempo und der Effizienz eines Strukturanpassungsprogramms durchgeführt. Forcierte Privatisierung und Arbeitsmarkt-„Reformen" vertreiben die Menschen von ihrem Land und aus ihren Jobs. Dieses Klima von Frustration und nationaler Desillusionierung ist, das zeigt die Geschichte, der ideale Nährboden für faschistische Ideologien. Die beiden Arme der indischen Regierung sind perfekt aufeinander eingespielt. Während der eine Arm eifrig dabei ist, große Teile des Landes zu verkaufen, dirigiert der andere einen wütenden Chor hindu-nationalistischer und religiös-faschistischer Stimmen. Er führt Atomtests durch, schreibt Geschichtsbücher um, brennt Kirchen nieder, zerstört Moscheen. Im März 2002 wurden in Gujarat zweitausend Muslime massa-kriert. Es war ein mit staatlicher Unterstützung durchgeführtes Pogrom. Muslimische Frauen wurden vergewaltigt und anschließend bei lebendigem Leib verbrannt. Geschäfte, Wohnhäuser und Moscheen wurden in Band gesetzt.

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy  beim Weltsozialforum 2003 in Porto Alegre, Brasilien.

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Ein Dorf für Indien

Indien ist nach China das bevölkerungsreichste Land der Welt. Trotz beachtlicher Fortschritte leben heute immer noch viele Inder unter misslichen Umständen. Fachleute schätzen, dass von den im erwerbstätigen Alter stehenden Inder 45 Prozent arbeitslos oder unterbeschäftigt sind. Das Einkommen liegt für 53 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze.

Über 72 Prozent aller Inder leben auf dem Lande. Die Landbevölkerung in Südostindien leidet in besonderem Maße unter den wiederkehrenden Naturgewalten. Wirbelstürme und damit verbundene Flutwellen zerstören immer wieder die in den weiten und flachen Küstengegenden gelegenen Lehm- und Strohhütten der Dorfbewohner. Viele Menschenopfer, Verlust von Hab und Gut, Wiederaufbau der armseligen Hütten bis zur nächsten Zerstörung – ein Teufelskreis; es sei denn, man durchbricht ihn mit geeigneter Hilfe zur Selbsthilfe.

Ein Zyklon war im Juni 1969 Anlass zur Gründung einer Organisation, die seit Oktober 1971 offiziell unter dem Namen Village Reconstruction Organisation (V.R.O.) registriert ist. Der belgische Jesuitenpater Michael Windey, der seit 1946 in Indien lebt und während 20 Jahren in Ranchi als Professor für Soziologie tätig war, reiste damals ins Unglücksgebiet, in dem 15 000 Menschen ihr Leben verloren. Seither ist für Windey das katastrophengeschüttelte Gebiet Südostindiens Arbeitsstätte

Die Lehmhütten der Bewohner von Rajapeet hatten dem Sturm nicht standgehalten und waren eingestürzt. Pater Windey beschloß, mit den betroffenen Menschen zusammen ein neues Dorf zu bauen. Bereits vier Monate später konnte dieses eingeweiht werden. Es bestand aus stabilen Bachsteinhäusern – und es steht heute noch!

Die V.R.O. und ihre 500 freiwilligen Mitarbeiter sind keine Baufirma, die zerstörte Eigenheime neu aufbauen. Ihre Verpflichtung ist, die Vision von Mahatma Gandhi, die Befreiung der Dörfer im Armendreieck von Indien, weiter in Existenz zu bringen. Die V.R.O. und die Dorfbewohner wollen das Land wieder nutzbar machen, die Werte des ländlichen Lebens neu herausstellen, eine Landeskultur schaffen, auf die die Menschen stolz sein können. Letztlich wollen sie der großen Armut begegnen und der Abwanderung der Dorfbevölkerung in die Slums der Städte einen Riegel vorschieben.

Die V.R.O. begleitet Menschen in kleinen Gemeinschaften im Prozess der eigentlichen Dorferneuerung. Ein erster Schritt dazu ist die Bildung von lebendigen und kraftvollen Gemeinschaften, die Eigenverantwortung und Initiative übernehmen, um den „Stürmen" des Lebens standzuhalten. Gemeinschaften bilden, stabile Dörfer bauen, Wasserressourcen erschließen, das Land aufforsten, Lernprogramme durchlaufen, Hygiene und Gesundheitspflege einführen, das sind die Hauptkriterien der ganzheitlichen Erneuerung.

Jährlich unterstützt die V.R.O. etwas 25 Dörfer auf ihrem Weg, vorwiegend in den Bundesstaaten Tamil Nadu, Andrah Pradesh und Orissa und im Unionsterritorium Pondicherry. Lang ist die Liste der sich bewerbenden Dörfer. Jedoch nicht die V.R.O. wählt diese für den Wiederaufbau aus, es ist das Dorf selbst und ihre Bewohner, die einen Antrag zu stellen haben.

Ein anspruchvolles 5-Punkte-Testprogramm muss zudem von der Dorfgemeinschaft vorab durchlaufen und bestanden sein. Innerhalb diesem bekunden sie ihren Willen zur Einheit, zum Wiederaufbau, zur Arbeit, zum Dienst für die anderen Dorfbewohner, zum Lernen und die Bereitschaft zum Teilen.

Innerhalb eines Dorfes werden einheitliche Häuser gebaut, damit keine neue soziale Schichtung entsteht. Jede Familie arbeitet am Dorfbau mit. Nach der Fertigstellung aller Häuser werden diese unter die Dorfgemeinschaft verteilt.

Oft vergehen einige Jahre bis alle Stufen von der Testphase über die Planung, die Bauzeit bis zur Einweihung des Dorfes durchlaufen sind. Ist der Bau abgeschlossen, geht es weiter. Die Abgeordneten des neuen Dorfes treffen sich wöchentlich im V.R.O.-Quartier. Sie wollen Gedanken austauschen, von Anderen hören, Probleme diskutieren und lernen, die Gemeinschaft weiter zu verbessern und lebenswerter zu gestalten. Die Entwicklung soll nicht stehen bleiben. Nach dem „Wir haben es geschafft!" folgt: „Wie geht es weiter?"

Wir, die Schönauer Bürgerinitiative „Aktion Dorfbau Indien – Eine Welt" hat sich im Januar 2000 gebildet. Wir bestehen derzeit aus 10 Erwachsenen, 4 Jugendlichen und 6 Kindern. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Bau des Dorfes Chinna Venmani finanziell zu ermöglichen. Das notwendige Baumaterial für ein Haus beläuft sich auf etwa 1100 Euro. Das ist nicht viel für ein Stück Geborgenheit und Sicherheit. Die Baukosten für das 50 Familien zählende Dorf Chinna Venmani (inklusive die Einrichtung einer kleinen Infrastruktur: Brunnen, Straßen, Aufforstung, Kindergarten, Werkstatt, Gemeindezentrum) betragen etwa 60 000 Euro. Ein Landarbeiter im Bundesstaat Tamil Nadu verdient im Jahr zwischen 200 bis 360 Euro. Die Dorfbewohner sind auf unsere Hilfe angewiesen. Weitere Informationen erteilen gerne:

Andrea Seger, Talstraße 10, 79677 Schönau, Andrea Kiefer, Waldstr. 17, 79677 Aitern

Spendenkonto: Kennwort „Dorfbau Indien" Kontonummer 17035122, Bankleitzahl 68052863

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Hintergründe der Anschläge

Als Grundlage dienten Vernehmungsprotokolle, welche die Aussagen inhaftierter al-Qaida-Größen enthielten. Dabei ist ein schlüssiges Bild entstanden, das in Verbindung mit anderen Quellen die Vorgeschichte zu den Attentaten vom 11. September 2001 beschreibt. Der „Spiegel" spricht von verschiedenen Strömen, die zusammenkamen. Die ersten Vorbereitungen trafen zwei pakistanische Männer, Chalid Scheich Mohammed und sein Neffe Ramsi Ahmed Jussuf. Letzterer hatte 1993 einen ersten Anschlag auf das Welthandelszentrum in New York durchgeführt. Er ließ 600 Kilogramm Nitroglyzerin in der Tiefgarage explodieren. Die Türme wankten, doch sie fielen nicht. 1995 wurde Jussuf in Manila verhaftet. Er musste fliehen, weil Bombensprengstoff in einer Wohnung zu brennen anfing. Die Polizei fand dort Pläne zu geplanten Anschlägen, unter anderem auf den Papst, dessen Besuch in Manila bevorstand.

Sein Onkel Chalid konnte entkommen. Dieser nahm Verbindung zu Osama Bin Laden in Afghanistan auf. Bei der nun vorliegenden Vernehmung erzählte er, dass er Bin Laden einen ersten Plan unterbreitete. Ein kleines mit Sprengstoff vollgepacktes Flugzeug sollte in Amerika in der Zentrale des Geheimdienstes CIA detonieren. Bin Laden meinte daraufhin, warum er eine Axt gebrauche, wenn er doch einen Bulldozer nehmen könne. Sie kamen zu dem Plan, Passagierflugzeuge als Bomben zu benützen. Chalid, der in den Vereinigten Staaten zum Ingenieur ausgebildet worden war, fing an, innerhalb der Al-Qaida Anschläge vorzubereiten. Die Attentate der nächsten Jahre haben auch mit seiner Planungsarbeit zu tun.

Für die Vorstellung, in Amerika selbst eine zusammenhängende Anschlagsserie zu verüben, brauchte man noch dem westlichen Stil vertraute und technisch versierte Leute, die dabei zu sterben bereit waren. Zunächst fing Bin Laden an, vier eigene Leute vorzubereiten (es sollten bereits in diesem Stadium – ab 1996 – vier Flugzeuge benutzt werden). Erst 1999 tauchten die vier technischen Studenten aus Hamburg auf, die diesen großangelegten Terrorakt tatsächlich durchzuführen vermochten.

Die Gruppe um Mohammed Atta ist von einem Al-Qaida-Mitglied geworben worden und war eigentlich auf dem Weg, um in Tschetschenien gegen die russischen Besatzer zu kämpfen. Jedoch nahm das nun eine andere Wendung. Die Instruktion von Osama bin Laden lautete, in Amerika Flugunterricht zu nehmen und fürs weitere bereit zu sein.

Schon im selben Jahr 2000 absolvierten Mohammed Atta, Marwan al-Shehhi und der Libanese Ziad Jarrah ihren Flugunterricht. Der vierte, Ramzi Binalshibh, erhielt trotz mehrfachen Versuchs keine Einreiseerlaubnis für die Vereinigten Staaten. Er hielt stattdessen die Verbindung zu Al-Qaida und insbesondere zu Osama Bin Laden aufrecht und gelangte rasch bis in den inneren Zirkel dieser Terrorgruppe. Vielleicht lag das mit daran, dass seine Familie aus der gleichen jemenitischen Region stammte, aus der auch die Bin Ladens ursprünglich herkamen, bevor sie nach Saudi-Arabien zogen. Aus diesem Land kamen auch jene Mitbeteiligten, die neben den vier Piloten die Anschläge verübten.

Die genauen Ziele soll Osama bin Laden selbst im Jahre 2000 ausgewählt haben: die beiden Türme des World-Trade-Centers, das Pentagon (als der Sitz des amerikanischen Verteidigungsministeriums) und das Parlamentsgebäude, das Capitol. Letzteres blieb verschont, nachdem die Maschine, die mit Ziad Jarrah dahin unterwegs war, wegen Unruhen im Flugzeug selber abstürzte.

Die Aussagen des im März 2002 festgenommenen Chalid Scheich Mohammed sind mit denen Ramzi Binalshibhs verglichen worden. Der wurde genau ein Jahr nach dem Attentat, am 11. September 2002 ebenfalls in Pakistan, festgenommen. Vorher hatten beide sich schon in arabischen Medien detailliert geäußert. Es besteht wohl kein Zweifel mehr, wie dieses verhängnisvolle Komplott zustande kam. Ein anderes ist es allerdings, so mit den Folgen fertig zuwerden, dass nicht noch mehr ins Unglück gerissen wird.

Jürgen Kaminski

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Für die eigene Gesundheit am besten Bio

Interview mit Dieter Koschek vom Bio-Restaurant

Eulenspiegel am 20.1.2004. Die Fragen stellte Ingrid Feustel von der „Welle", Wangen.

1. Das Restaurant zum Eulenspiegel ist als Bio-Restaurant bekannt. Habt Ihr von Anfang an auf die Qualität Eurer Nahrungsmittel mit der Bezeichnung BIO Wert gelegt und wie war eure Geschichte?

Der Eulenspiegel besteht nun seit fast 28 Jahren und ist als Teil eines Kulturprojektes entstanden: soziales Miteinander auf der Grundlage der Sozialen Dreigliederung als Modellprojekt. Wie unser Gründer Peter Schilinskai sagte, hat das Politische keinen Sinn ohne das Erüben von Menschenerkenntnis, Selbsterkenntnis, Toleranz und gegenseitigem Interesse. Auf dieser Grundlage stehend ist es ein kleiner Schritt für ein Restaurant auch seine Verantwortung für die Natur und die eigene Gesundheit zu erkennen. Doch es hat in der Praxis lange gedauert bis das Konzept Bio-Restaurant sich umsetzen lies. Ausgehend von den politischen Kämpfen gegen die Atomkraft hat das damalige Team bald begonnen Obst, Gemüse und Mehle aus biologisch-kontrolliertem Landbau zu verarbeiten. Doch erst seit wir einen Lieferanten, die Biobauern Sulzberg aus Vorarlberg fanden, der unseren Bedürfnissen als Restaurant z.B. beim Fleisch entsprach, konnten wir große Schritte Richtung Biorestaurant machen. Wir wollen auch für alle Menschen offen sein, das heißt dann auch faire Preise oder Gerichte, die nicht einem vegetarischen Gourmettempel entstammen, anzubieten – und dies bedeutet Kompromisse zu machen – auch heute noch.

2. Bio ist nicht gleich Bio. Gibt es einen Leitfaden nach dem ihr die unterschiedlichen Qualitäten eurer Nahrungsmittel verwendet? Was ist BIO?

Der Leitgedanke der biologischen Landwirtschaft ist höchste Lebensmittelqualität durch schonende Nutzung von Landschaft, Rohstoffen und Energie zu gewinnen.

In der Praxis bedeutet das:

- Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und leicht lösliche mineralische Düngemittel
- Erhaltung der Bodengesundheit und -fruchtbarkeit durch schonende Bodenbearbeitung, natürliche Dünger und ausgewogene Fruchtfolge
- Förderung der natürlichen Regulationsmechanismen und Selbstheilungsprozesse in intakten Ökosystemen (Nützlingsförderung)
- Verzicht auf den Einsatz von Gentechnik in allen Bereichen des Biolandbaus
- Artgerechte Tierhaltung und Fütterung mit biologischem Futter

Aber nicht nur für die Natur ist die Biolandwirtschaft am besten, sondern auch für die eigene Gesundheit. Was wir schon immer wussten wird nun durch eine große vergleichende Studie belegt: für die eigene Gesundheit am besten Bio: mehr bioaktive Substanzen, bessere Ergebnisse bei Geschmackstests und deutlich weniger Rückstände. Bio-Ernährung kann das Immunsystem stärken und ist für Babys besser. So lassen sich bei Biogemüse und -obst höhere Gehalte an sekundären Pflanzenstoffen nachweisen, sie schmecken besser, haben günstigere Lichtspeicherkapazität, mehr Vitamine, mehr Mineralstoffe, höhere Trockenmassegehalte, bessere Haltbarkeit, weniger Nitrat, geringere Pestizidrückstände, u.s.w..

Biolandwirtschaft erfolgt nach klaren gesetzlich vorgeschriebenen Richtlinien! Im gesamten EU-Raum gilt die EU-Verordnung 2092/91. Die Einhaltung dieser Richtlinien wird bei Biobauern aber auch bei Verarbeitern und Händlern mindestens 1x jährlich von unabhängigen, staatlich autorisierten Kontrollstellen überprüft.

Die EU-Verordnung ist quasi der europäische Minimalkompromiss. Daneben gibt es Fachverbände wie Demeter oder Bioland, die eigene Kriterien für den Landbau haben. Wir als Restaurant kaufen nur bei kontrollierten Betrieben, bzw. Produkte aus kontrollierten Verarbeitungsbetrieben.

Seit April 2003 gilt diese EU-Verordnung auch für Gastronomiebetriebe, d.h. das alle Betriebe, die Angebote aus kontrolliert-biologischem Anbau als diese bezeichnen und bewerben, sich auch kontrollieren lassen müssen. Wir werden von ABCERT aus Augsburg – eine staatlich anerkannten Kontrollstelle für die Zertifizierung ökologisch erzeugter Lebensmittel - kontrolliert und sind zertifiziert.

Das bedeutet für uns im Wesentlichen, dass wir nachweisen müssen, welche Produkte von welchen kontrolliert-biologischen Betrieben kommen und dass wir eine getrennte Lagerung haben, den Warenfluss dokumentieren und eine entsprechende Kennzeichnung in der Karte vornehmen.

3. Wo und nach welchen Kriterien kauft ihr eure Nahrungsmittel ein?

Wie gesagt müssen unsere Lieferanten kontrollierte Biobetriebe sein und ihre Zertifizierung vorweisen. Ein weiteres wichtiges Kriterium für uns ist, dass die Produkte so weit als möglich aus der Region stammen. Das ist nun bei den meisten Produkten möglich. Es ist für uns wichtig nicht nur die Natur zu schützen und hochqualitative Gerichte zu präsentieren, sondern auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken, um ein Gegenpol gegen die zentralistischen Tendenzen in der Wirtschaft zu bilden. Unsere Lieferanten sind im Wesentlichen die Demeterbetriebe Wuggezer in Lindau und der Lehenhof im Deggenhausertal. Bodan als Lebensmittelgroßhändler und Wein Riegel als Weinlieferant. Biere haben wir von der Tettnanger Kronenbrauerei und Neumarkter Lammbräu, Mehle von der Kargemühle in Langenargen und dem Demeterbauern Bohner in Dentenweiler. Wie gesagt kommen die Milch- und Fleischprodukte von der Vorarlberger „Biobauerngenossenschaft Sulzberg". Darunter firmieren Bergbauern, die ihre Produkte direktvermarkten und eine eigene Sennerei in Langen betreiben. Die Milch kommt von den Sieben aus Hörbranz im Leiblachtal.

4. Für die Erzeuger von Nahrungsmitteln aus der Landwirtschaft gibt es Fachverbände. Als weiterverarbeitendes Unternehmen kauft ihr bei Großhändlern ein. Gibt es Fachverbände auch für den Handel?

Wie angedeutet wird die Biokette nun lückenlos kontrolliert. Neben den Anbauverbänden gibt es für den Einzel- und Großhandel Fachverbände Naturkost. Anders als für Hotelbetriebe gibt es für Gastronomiebetriebe noch kein gemeinsames Label oder gar einen Fachverband. Ich würde einen solchen stark begrüßen, denn ein Betrieb wie der unsere steht noch ziemlich allein im Wettbewerb. Schlimmer ist, dass wir gar Zwangsmitglied bei der Industrie- und Handelskammer sein müssen, die eine Politik verfolgen, die wir gar nicht unterstützen wollen. Nun, wir bekommen Informationen von den Anbauverbänden, die Kontrollstelle ABCERT unterstützt uns bei Fragen. Als selbstverwalteter Betrieb haben wir in früheren Jahren immer wieder Versuche gestartet einen Verband zu gründen, die jedoch über gute freundschaftliche Kontakte nicht hinausgingen. Doch es wird nicht ausbleiben, dass die Bio-Restaurants sich auch bald zu einem Fachverband zusammenschließen müssen. Doch dazu sind wir wahrscheinlich noch zu wenige. Außer dem Naturata in Überlingen und dem Restaurant inatura in Dornbirn sind mir hier in der Region keine Bio-Restaurants bekannt. Und für die drei gelten zudem noch unterschiedliche Vorschriften, nämlich die von Baden-Württemberg, Bayern und Österreich.

5. In der Einzelhandelsbranche sollen die Waren gekennzeichnet sein. Wie geht ihr mit dem Kennzeichnen Eurer Produkte um, z.B. in der Speisekarte?

Schon bevor wir zertifiziert worden sind, haben wir großen Wert auf Offenheit und Information gegenüber unseren Gästen gelegt. In unserer Karte nennen wir unsere Bio-Lieferanten und kennzeichnen unsere Produkte bzw. die Bestandteile aus konventionellem Anbau. Also eine Negativ-Kennzeichnung, was wir in Kauf nehmen, da wir nun fast schon alles aus biologisch-kontrolliertem Anbau haben. Nur noch wenige Bestandteile unserer Gerichte sind konventionell, wie z.B. die Pommes u.ä..

6. Wie steht es mit genmanipulierten Nahrungsmitteln?

Risiken und ökologische Folgen, die von der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft ausgehen können, sind nach wie vor nicht geklärt. Daher wird im Biolandbau auf Gentechnik strikt verzichtet.
Die Verwendung genmanipulierter Organismen ist durch die EU-Verordnung 2092/91 untersagt. Ganz gleich, ob es sich dabei um Saatgut, Pflanzen, Tiere oder etwa um Mikroorganismen zur Herstellung von z.B. Brot oder Milchprodukten handelt.

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Eulenspiegel-Nachrichten

Betriebsgruppe

So wie wir letztes Jahr unter dem Umsatzrückgang gestöhnt haben, stöhnen wir heuer unter dem Umsatzzuwachs. Das ist zwar erfreulich und soll bloß so bleiben, aber wir brauchen schon wieder personelle Erweiterung. Wir wünschen uns eine Person für die der Service die Hauptaufgabe ist. Die Betriebsgruppe bilden nun Dieter, Brigitte, Ramona und Bene. Bene ist ein ausgebildeter Jungkoch und wird bis Ende September unsere Küche revolutionieren. Hoffentlich schaffen wir es dann auch ohne ihn weiter.

Sizilianisches Wochenende

Auch hier wurde die Gaststätte stark gefordert. Ein sehr großer Andrang von Freitagabend bis Sonntagmittag zeugte von der Anziehungskraft des Projektes und sizilianischer Kost. Matthias Scheffler stellte sehr eindrucksvolle Fotos seines sechsmonatigen Aufenthaltes in Sizilien aus und trug am Freitagabend Auszüge aus Reisetagebüchern von Seume, Goethe und sich selbst vor. Am Samstagabend berichteten Nunzio und Renate über den Stand der Dinge in Case Caro Carrubo. Ein gelungenes Wochenende mit vielen Begegnungen alter und neuer Freunde.

Ausstellung

Seit dem sizilianischen Wochenende und bis Ende April 2004 schmücken neue Bilder von Renate Brutschin die Gaststätte. Die Ausstellung trägt den Titel „Sul sentiero – auf dem Weg". Das folgende Gedicht, das Renate selber im Januar verfasst hat, beschreibt die Kraft und Fülle der Gemälde besser als jede Kunstkritik.

Nun ist wieder die Zeit, wo die Mandelbäume
mit ihren Knospen schwanger gehn,
die klare Winterluft das Meer spiegeln lässt,
die Erde im satten Grün sich der Kühle erfreut
und mit dem Zitronengeld des Klees,
dem Orange der Ringelblumen
erste Farben auf ihren saftigen Teppich tupft.
Etwas den Hügel hinauf
schaut das geheimnisvolle Blau der Iris mich an
und Narzissen verströmen ihren
süßsehnsüchtigen Duft.

Mitgliederversammlung und Freundeskreistreffen

Dieses Wochenende stand ganz im Zeichen des Konfliktes der Betriebsgruppe. Lange Gespräche versuchten die Ursachen und die Fehler zu erhellen. Die Mitgliederversammlung stimmte den Anträgen von Dieter zur Führung des Betriebes zu – letztlich auch weil ein Gegenkonzept nicht zur Debatte stand. Der neue Vorstand besteht aus Heiko Brinkmann, Klaus Korpiun, Günther Edeler und Martin Rösing. Er soll im Laufe des Jahres versuchen eine weitere Trennung zwischen Verein und Betrieb zu klären.

Am Abend fand dann noch ein Rundgespräch mit Anton Kimpfler über Gesprächsführung statt. Der Sonntag stand der Diskussion über den Jedermensch zur Verfügung sowie weiteren Berichten aus der Dreigliederungsarbeit und –bewegung.

Dieter Koschek

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Mit Unsicherheiten umgehen

Als die Arbeit in der Gaststätte „Eulenspiegel" anfing, da musste sich überhaupt erst zeigen, ob es eine tragbare Grundlage für die Zusammenarbeit dieser Menschen gab. Nur ein Mitarbeiter, der schon in dem vorigen Projekt mitgearbeitet hatte, war auch jetzt dabei. Die Zusammenarbeit lief nicht gut, weil die Menschen viel zu wenig vorher Gelegenheit gehabt hatten, kennen zu lernen, was wir mit unserem Projekt beabsichtigten. Es fiel ihnen sehr schwer, zu akzeptieren, dass wir genötigt waren, möglichst schnell die Gaststätte zu eröffnen, weil wir dringend Einnahmen brauchten. Wir hatten diese Situation zwar oft klargemacht, aber es war doch so, wie es so oft in solchen Fällen ist, dass die nicht in der Sache drinstehenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eben von ihren Vorstellungen ausgehen und sie verwirklichen wollen. Die Vorstellung der anderen lief darauf hinaus, erst einmal die Inneneinrichtung und noch viel mehr der Gaststätte gründlich umzustellen, den äußeren Rahmen der Sache der Gaststätte sehr viel geschmackvoller zu gestalten, als wir sie vorgefunden hatten. Die Idee war gut, aber sie berücksichtigte nicht unsere finanzielle Lage.

In dieser Situation schrieb ich einige Menschen an, die ich schon länger kannte, denen ich auch unser Projekt erklärt hatte und die von Anfang an eine zustimmende Haltung dazu hatten. Während also die Gruppe des allerersten Anfangs zusehends auseinanderbröckelte, kamen einzelne Freundinnen und Freunde, um zu helfen, aber sie behielten sich berechtigterweise absolut vor, ob sie nur für ganz kurze oder für länger Zeit Hilfe leisten wollten. Es war plötzlich alles, aber auch buchstäblich alles in der Unsicherheit. Als weitere Schwierigkeit und Belastung kam hinzu, dass in der Zeit, in der sich die menschliche Situation sowohl im persönlichen als auch im arbeitsmäßigen Bereich vollkommen veränderte und in extremer Unsicherheit war, doch der Betrieb in gewisser Beziehung überhaupt erst ins Laufen gebracht werden musste. Der Betrieb war ja doch der Faktor, von dem in gewisser Weise abhing, ob es überhaupt möglich sein würde, die eingegangenen Verpflichtungen zu halten. Es war eine Zeit der alleräußersten Anspannung für mich, zumal ich für einen kürzeren Zeitraum der einzige war, der sich überhaupt noch ganz mit dem Vorhaben – und zwar wirklich bis in die letzte Faser seines Wesens – verbunden hatte.

Ich wusste aus Erfahrung, dass der Prozess, in dem sich allmählich eine wirklich einigermaßen stabile Trägergruppe für ein Projekt entwickelt, sehr lange dauern kann. Und dass Zwischenzeiten eingerechnet werden müssen, in denen man als Initiator eines Projektes auch mit sehr viel weniger engagierten Menschen zusammenarbeiten muss, so lange, bis sich die mehr und mehr für dieses Projekt wirklich Engagierten finden. Es gibt nicht viele Menschen, die wirklich in der Lage sind, ihre eigene Persönlichkeit mit allem, was sie kann und was sie nicht kann, und auch ihre Beziehung zu einem Projekt, welches sie unter Umständen voll begeistert, wirklich zu überschauen. Die meisten Menschen machen erst dann, wenn sie in das Projekt eingestiegen sind, die für sie entscheidenden Erfahrungen mit sich selbst und vor allem auch mit den anderen Menschen durch, mit denen sie zusammenarbeiten. Am runden Tisch kann man sich nach mehr oder weniger zahlreichen Gesprächen sehr für eine gemeinsame Aufgabe begeistern. So hatte ich es ja selbst erfahren. Erst im Alltag der Zusammenarbeit mit jenen Menschen, die sich gemeinsam für eine Sache begeistert haben, zeigt sich, ob die daran Beteiligten sich im Hinblick auf das Projekt und vor allen Dingen im Hinblick auf die Menschen, mit denen sie sich am runden Tisch so einig waren, einigermaßen richtig eingeschätzt haben. Erst die Alltagserfahrung miteinander zeigt, in welchem Umfang bei jedem Beteiligten der Idealismus Ergebnis einer falschen Einschätzung der eigenen Person und vor allem eine Sache war, die man bewusst oder unbewusst eingegangen ist unter Übersehung oder Verdrängung wichtigster Lebenserfahrung, die man mit sich selbst im Zusammenarbeiten mit anderen gemacht hat.

Peter Schilinski über die Anfänge vom „Modell Wasserburg"

 

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